DUBIOSUM
531
ganzen gesazs nit mogen nachgelossen werden. Freylich, wer synen
nehsten liebet, wurt nit vber inen zurnen, wurt sich nit an im rechen,
sonder allweg im den anderen backen darheben, den mantel zum Rock
lossen, zwo mylen mit Ime gon, so er zu einer zwinget [Mt 5,39-41].
5 Vnd ist zwar zuerbarmen, das der Huz mit synen schulen70 so vnacht-
sam syndt der wort Christi, do selbt sagt doch der herr, wo wir nit auch
die feynd lieben vnd inen guts thun, so seyen wir nit besser dan die
heyden [Mt5,43-47]. Item wan wir nit besser seyen dan die phariseer
vnd vnser gerechtigkeit die ire vbertreffe, so mogen wir des hymelrichs
10 nit theylhafftig syn [Mt 5,20], vnd gibt daruff alle leeren, die Math. 5.
begriffen syndt, anzuzeigen, worinn vnser gerechtigkeit der phasiseer
gerechtigkeit vbertreffen müßte, zeigt auch witer an, das wir dar durch
vns allein kynder des hymelischen vatters bewyßen.
Die burger haben auch war, das sy sagen, die heiligen vetter haben
15 solich leer Christi auch als notwendige gepott gehalten71. Dann also
schreibt Chrisostomus vber das v. Capitel Mathej eben von dießen ge-
potten, welche huzen leerer zu räthen gemacht haben72: »Loßt vns nit
vnmueglich schezen dieße gepott, welche gwyß vnd vns nüz syndt, auch
vast licht, wo wir von ganzem gmuet wachen«. Hieronymus schreibt
20 auch von dißen gepotten73: »vil syndt, die vß irer blodigkeit vnd nit vß
vermogen der heiligen achten vnmoglich sein diese gepot vnd sagen, es |
sey gnung den tugenten, die veynd nit hassen, Aber lieb haben, das da
mehr gepotten werde, dann die natur thulde. Darumb ist zu wissen, das
Christus nit vnmogliche ding gepewt, sonder volkhomne, die gethan hat
25 Dauid In Saul74 vnd Absolon75, Stephanus76, Pauls77 vnd der herr selbs
gelert vnd gethon: Vatter verzyhe Inen« etc. [Lk23,34]. Diß ist vnser
glaub vnd schrifft, vff die er grundet ist, von den Andern Artickeln
oftgemelts huzen.
70. Hochschulen. 71. Vgl.S. 530, Anm.67.
72. Vgl. Chrysostomus, In Mathaeum Homil. XVIII (MSG 31, Sp. 267): »Ne itaque
praecepta impossibilia esse putemus. Quare utique et utilia nobis sunt, et valde facilia,
si vigilemus ...«
(Anführungszeichen oben im Text sind eingesetzt.)
73. Vgl .Hieronymus, Comment. in Evangelium Matthaei (MSL 26, Sp. 42 zu Mt 5,44):
»Multi praecepta Dei imbecillitate sua, non sanctorum viribus aestimantes, putant esse
impossibilia quae praecepta sunt, et dicunt sufficere virtutibus non odisse inimicos,
caeterum diligere plus praecipi, quam humana natura patiatur. Sciendum est ergo
Christum non impossibilia praecipere, sed perfecta: quae fecit David in Saul et in
Absalon. Stephanus quoque pro inimicis lapidantibus deprecatus est. Et Paulus
anathema cupit esse pro persecutoribus suis. Haec autem Jesus et docuit et fecit,
dicens: Pater, ignosce illis: quod enim faciunt, nesciunt.«
74. 1 Sam 24.26.
75. 2 Sam 14.19.
76. Apg7,54-59.
77. Apg 16,1 1-34.
138b
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ganzen gesazs nit mogen nachgelossen werden. Freylich, wer synen
nehsten liebet, wurt nit vber inen zurnen, wurt sich nit an im rechen,
sonder allweg im den anderen backen darheben, den mantel zum Rock
lossen, zwo mylen mit Ime gon, so er zu einer zwinget [Mt 5,39-41].
5 Vnd ist zwar zuerbarmen, das der Huz mit synen schulen70 so vnacht-
sam syndt der wort Christi, do selbt sagt doch der herr, wo wir nit auch
die feynd lieben vnd inen guts thun, so seyen wir nit besser dan die
heyden [Mt5,43-47]. Item wan wir nit besser seyen dan die phariseer
vnd vnser gerechtigkeit die ire vbertreffe, so mogen wir des hymelrichs
10 nit theylhafftig syn [Mt 5,20], vnd gibt daruff alle leeren, die Math. 5.
begriffen syndt, anzuzeigen, worinn vnser gerechtigkeit der phasiseer
gerechtigkeit vbertreffen müßte, zeigt auch witer an, das wir dar durch
vns allein kynder des hymelischen vatters bewyßen.
Die burger haben auch war, das sy sagen, die heiligen vetter haben
15 solich leer Christi auch als notwendige gepott gehalten71. Dann also
schreibt Chrisostomus vber das v. Capitel Mathej eben von dießen ge-
potten, welche huzen leerer zu räthen gemacht haben72: »Loßt vns nit
vnmueglich schezen dieße gepott, welche gwyß vnd vns nüz syndt, auch
vast licht, wo wir von ganzem gmuet wachen«. Hieronymus schreibt
20 auch von dißen gepotten73: »vil syndt, die vß irer blodigkeit vnd nit vß
vermogen der heiligen achten vnmoglich sein diese gepot vnd sagen, es |
sey gnung den tugenten, die veynd nit hassen, Aber lieb haben, das da
mehr gepotten werde, dann die natur thulde. Darumb ist zu wissen, das
Christus nit vnmogliche ding gepewt, sonder volkhomne, die gethan hat
25 Dauid In Saul74 vnd Absolon75, Stephanus76, Pauls77 vnd der herr selbs
gelert vnd gethon: Vatter verzyhe Inen« etc. [Lk23,34]. Diß ist vnser
glaub vnd schrifft, vff die er grundet ist, von den Andern Artickeln
oftgemelts huzen.
70. Hochschulen. 71. Vgl.S. 530, Anm.67.
72. Vgl. Chrysostomus, In Mathaeum Homil. XVIII (MSG 31, Sp. 267): »Ne itaque
praecepta impossibilia esse putemus. Quare utique et utilia nobis sunt, et valde facilia,
si vigilemus ...«
(Anführungszeichen oben im Text sind eingesetzt.)
73. Vgl .Hieronymus, Comment. in Evangelium Matthaei (MSL 26, Sp. 42 zu Mt 5,44):
»Multi praecepta Dei imbecillitate sua, non sanctorum viribus aestimantes, putant esse
impossibilia quae praecepta sunt, et dicunt sufficere virtutibus non odisse inimicos,
caeterum diligere plus praecipi, quam humana natura patiatur. Sciendum est ergo
Christum non impossibilia praecipere, sed perfecta: quae fecit David in Saul et in
Absalon. Stephanus quoque pro inimicis lapidantibus deprecatus est. Et Paulus
anathema cupit esse pro persecutoribus suis. Haec autem Jesus et docuit et fecit,
dicens: Pater, ignosce illis: quod enim faciunt, nesciunt.«
74. 1 Sam 24.26.
75. 2 Sam 14.19.
76. Apg7,54-59.
77. Apg 16,1 1-34.
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