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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 6,2): Zum Ius reformationis: Obrigkeitsschriften aus dem Jahre 1535 ... — Gütersloh, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.29832#0051
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DIALOGI

47

kaiserlichen Willen und gegen ein Konzil eine Kirchenreform vornehmen dürfen.
Bucer schreibt dem Rat das »merum imperium« zu, nach dem dieser die volle legislative
und exekutive Gewalt hat 36 . Demgemäß hat die »untere Obrigkeit« darauf zu achten,
daß die Kleriker den Gläubigen mit der »heilsamen leere, den würdigen Sacramenten
und anderen Kirchenübungen« dienen 37 . Für Bucer sind falsche Lehre und falsche
Zeremonien gleichbedeutend mit Abgötterei. Das ist eine »Verkehrung des ganzen
Christentums« 38 . Sie widerspricht nicht nur dem Kirchenrecht und den geistlichen
Regeln, sondern auch der heidnischen Sittenlehre. Weil falscher Gottesdienst Seelen-
schaden, Mord und geistlicher Ehebruch ist, muß die Obrigkeit so eingreifen, wie es
bei kriminellem Mord und Ehebruch der Fall ist. Wenn demgegenüber der Augsbur-
ger Reichstagsabschied (1530) verbiete, kirchliche Reformen durchzuführen, so stehe
dies im Widerspruch zu den Regalien, welche der Kaiser bei seiner Regierungsüber-
nahme den Ständen gegeben bzw. bestätigt habe: Demnach wolle er niemandes Frei-
heit und Gerechtigkeit mindern, sondern diese vielmehr mehren. Schließlich habe
jener Reichstagsabschied auch den Protestierenden Gnade und Frieden zugesagt.
Rechte Verwaltung einer Stadt’aber bedeute, daß in Fragen der Religion »recht und
wol gehandelt« werde, so daß man gegen »Aufruhr und Empörung« gefeit bleibt 39 .
Abschließend sei noch auf das Probiem von weltlicher und geistlicher Obrigkeit in
ihrem gegenseitigen Verhältnis hingewiesen. Bucer behandelt diese Frage im sechsten
Gespräch. Wenn die Kanonisten dem Papst unbeschränkte geistliche und weltliche
Macht zuschreiben und ihn auch bei Mißbrauch derselben als nicht zu bestrafen anse-
hen, so kann der Christ in der Verantwortung vor Gott sich nicht an das päpstliche
Gebot falscher Lehre und falschen Gottesdienstes und das Verbot, diese abzustellen,
halten. Der Papst lehre ja selbst, man müsse einer Obrigkeit widerstehen, die »zum
argen« treibe 40 .
Bucer stellt schließlich die Frage, wie ein Christ sich verhalten solle, wenn er vom
Papst zum Kriegsdienst gegen die Ungläubigen aufgefordert werde 41 . Hier soll der
Christ nur der weltlichen Obrigkeit gehorchen. Ordentliche Obere habe Gott gege-
ben, um den geistlichen Tyrannen zu wehren. Gewiß besteht die Schwierigkeit, daß es
für den Christen neben der geistlichen Obrigkeit noch verschiedene weltliche Obrig-
keiten wie Kaiser, Fürsten und Stadträte gibt, die alle von Gott geordnet sind, und
denen der Christ gehorchen soll. Bucer meint diesen Konflikt dadurch lösen zu kön-
nen, daß er den Christen mahnt, hieran zu erkennen, daß Gott ihn in solchen Sachen
noch nicht »gefreiet« hat 42 . Die Christen sollen aber danach trachten, allen verstockten
Zerstörern des Reiches Christi die weltliche oder geistliche Gewalt zu nehmen. Er
meint damit nicht das Widerstandsrecht des einzelnen Christen, sondern die »ordentli-
che Obrigkeit«, welche Freiheit, Recht und Gut der christlichen Kirche vor den »bösen
Tyrannen« schützt. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist für Bucer, daß der Kaiser
kraft kaiserlichen Amtes, nicht kraft päpstlichen Lehens, alle Gewalt über den Papst
und über die Bischöfe hat.
36. s. oben S. 41, Anm. 5. 37. Dial. 9, X ib, S. 168.
38. Dial. 9, X 2a, S. 169; Y 4b, S. 179. 39. Dial. 9, Z ib —4b, S. i8iff.
40. Dial. 6, F ia—F 4a, S. 78 ff. 41. Dial. 6, F 4a, S. 83. 42. Dial. 6, G ib, S. 85.
 
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