116 | ANTRITTSREDEN
Sem zweitältester Sohn, Ernst-Wilhelm Bohle, wurde der jüngste Gauleiter der
NSDAP und erklärte sich später im Wilhelmstraßenprozeß als einziger Angeklagter
für schuldig. Mein frühster wissenschaftlicher Aufsatz aus dem Jahr 1964 galt diesen
beiden Vertretern des Auslandsdeutschtums und ihren Schriften, wurde allerdings aus
formalen, nicht aus inhaltlichen Gründen nicht zur Publikation angenommen.
Meine erste wissenschaftliche Veröffentlichung datiert daher erst vom Jahr 1965 und
galt einem anderen Vorfahren, dem Tübinger Physiker Johann Christian Gottlieb
Nörrenberg, der zeitgleich mit Daguerre, vermutlich sogar noch vor ihm, ein
Photographierverfahren entwickelte, aber auch den Polarisationsapparat und die
noch heute in Gebrauch befindliche Kaffeemaschine erfand. Seine erste „Daguerro-
typie“ wurde im Jubiläumsjahr 1989 (150 Jahre Daguerrotypie) vomTübinger Stadt-
museum aus den USA zurückgekauft und zeigt auf einer kleinen versilberten Kup-
ferplatte die Kopie einer antiken Statue, der kauernden Aphrodite des Doidalses.
Ich legte 1962 am Städtischen Gymnasium für Jungen in Gummersbach das
Abitur ab und entschloß mich aus pragmatischen Gründen, nicht aus Neigung, für
ein Jurastudium in Göttingen. Dieses brach ich nach drei Semestern ab und wech-
selte 1964 nach Freiburg i.Br. über, wo ich, nach einem Studium der Romanistik,
Geschichte und des Mittellateins 1968 bei Vito Rocco Giustiniani mit einer
neulateinischen Textedition nebst Kommentar promovierte („Giovanni Antonio
Campano, 1429-1477, Erläuterungen und Ergänzungen zu seinen Briefen“) und
mich 1974 mit einer rezeptionsgeschichtlichen Arbeit („Martial in Italien vom 13.
bis zum 18. Jahrhundert“) habilitierte. Die Vorarbeiten für beide Qualifikations-
schriften wurden in deutschen und ausländischen Bibliotheken geleistet, vor allem in
der Bibhoteca Apostolica Vaticana und dem Vatikanischen Geheimarchiv. Zwi-
schenzeitlich war ich bei Kaspar Elm an der neu gegründeten Universität Bielefeld
Assistent für mittelalterliche Geschichte, danach Mitarbeiter der Zentralstelle für das
Chiffrierwesen in Bonn-Bad Godesberg und anschließend Hilfsreferent im Aus-
landsreferat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Nach der Habilitation im Jahr
1974 mutierte ich aus besserer Einsicht und auf den Rat wohlmeinender Freunde
vom Kodikologen und Humanismusforscher zum romamstischen Literaturhistoriker,
ohne jedoch Ausflüge in die Geschichtswissenschaft, die Handschriftenforschung
und die Bücherkunde aufzugeben. Ein großes von mir initiiertes Projekt, die Erfas-
sung aller deutschen Übersetzungen aus dem Italienischen, hat dieser Tage mit den
Bänden drei und vier seinen Abschluß gefunden. Als meine wichtigste Forschungs-
leistung betrachte ich meine Beiträge zur Fachgeschichte der Geisteswissenschaften
im „Dritten Reich“, der ich insgesamt sechs umfangreiche Monographien, zwei
Sammelbände und über 200 Rezensionen gewidmet habe. Ohne meine historisch-
literatur-wissenschaftliche Doppelausbildung hätte ich diese Arbeit nie leisten kön-
nen. Die damit zusammenhängenden Recherchen habe ich neben einer aufwendi-
gen Lehr-, Prüflings- und Verwaltungstätigkeit eigenständig durchgeführt. Es ist dies
mein ganz persönlicher Beitrag zur Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen
Vergangenheit. So intensiv diese aufklärerische Arbeit auch für mich war, sie hat mei-
ner Haupttätigkeit, der romanischen Literaturwissenschaft, nichts fortgenommen. In
den mehr als dreißig Jahren, die seit meiner Habilitation vergangen sind, habe ich
Sem zweitältester Sohn, Ernst-Wilhelm Bohle, wurde der jüngste Gauleiter der
NSDAP und erklärte sich später im Wilhelmstraßenprozeß als einziger Angeklagter
für schuldig. Mein frühster wissenschaftlicher Aufsatz aus dem Jahr 1964 galt diesen
beiden Vertretern des Auslandsdeutschtums und ihren Schriften, wurde allerdings aus
formalen, nicht aus inhaltlichen Gründen nicht zur Publikation angenommen.
Meine erste wissenschaftliche Veröffentlichung datiert daher erst vom Jahr 1965 und
galt einem anderen Vorfahren, dem Tübinger Physiker Johann Christian Gottlieb
Nörrenberg, der zeitgleich mit Daguerre, vermutlich sogar noch vor ihm, ein
Photographierverfahren entwickelte, aber auch den Polarisationsapparat und die
noch heute in Gebrauch befindliche Kaffeemaschine erfand. Seine erste „Daguerro-
typie“ wurde im Jubiläumsjahr 1989 (150 Jahre Daguerrotypie) vomTübinger Stadt-
museum aus den USA zurückgekauft und zeigt auf einer kleinen versilberten Kup-
ferplatte die Kopie einer antiken Statue, der kauernden Aphrodite des Doidalses.
Ich legte 1962 am Städtischen Gymnasium für Jungen in Gummersbach das
Abitur ab und entschloß mich aus pragmatischen Gründen, nicht aus Neigung, für
ein Jurastudium in Göttingen. Dieses brach ich nach drei Semestern ab und wech-
selte 1964 nach Freiburg i.Br. über, wo ich, nach einem Studium der Romanistik,
Geschichte und des Mittellateins 1968 bei Vito Rocco Giustiniani mit einer
neulateinischen Textedition nebst Kommentar promovierte („Giovanni Antonio
Campano, 1429-1477, Erläuterungen und Ergänzungen zu seinen Briefen“) und
mich 1974 mit einer rezeptionsgeschichtlichen Arbeit („Martial in Italien vom 13.
bis zum 18. Jahrhundert“) habilitierte. Die Vorarbeiten für beide Qualifikations-
schriften wurden in deutschen und ausländischen Bibliotheken geleistet, vor allem in
der Bibhoteca Apostolica Vaticana und dem Vatikanischen Geheimarchiv. Zwi-
schenzeitlich war ich bei Kaspar Elm an der neu gegründeten Universität Bielefeld
Assistent für mittelalterliche Geschichte, danach Mitarbeiter der Zentralstelle für das
Chiffrierwesen in Bonn-Bad Godesberg und anschließend Hilfsreferent im Aus-
landsreferat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Nach der Habilitation im Jahr
1974 mutierte ich aus besserer Einsicht und auf den Rat wohlmeinender Freunde
vom Kodikologen und Humanismusforscher zum romamstischen Literaturhistoriker,
ohne jedoch Ausflüge in die Geschichtswissenschaft, die Handschriftenforschung
und die Bücherkunde aufzugeben. Ein großes von mir initiiertes Projekt, die Erfas-
sung aller deutschen Übersetzungen aus dem Italienischen, hat dieser Tage mit den
Bänden drei und vier seinen Abschluß gefunden. Als meine wichtigste Forschungs-
leistung betrachte ich meine Beiträge zur Fachgeschichte der Geisteswissenschaften
im „Dritten Reich“, der ich insgesamt sechs umfangreiche Monographien, zwei
Sammelbände und über 200 Rezensionen gewidmet habe. Ohne meine historisch-
literatur-wissenschaftliche Doppelausbildung hätte ich diese Arbeit nie leisten kön-
nen. Die damit zusammenhängenden Recherchen habe ich neben einer aufwendi-
gen Lehr-, Prüflings- und Verwaltungstätigkeit eigenständig durchgeführt. Es ist dies
mein ganz persönlicher Beitrag zur Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen
Vergangenheit. So intensiv diese aufklärerische Arbeit auch für mich war, sie hat mei-
ner Haupttätigkeit, der romanischen Literaturwissenschaft, nichts fortgenommen. In
den mehr als dreißig Jahren, die seit meiner Habilitation vergangen sind, habe ich