Annäherung an Gott im Kloster | 65
men besonders die lectio divina und alle übrigen Tätigkeiten des einzelnen Mönchs
sein Verhältnis zu Gott. Außerdem sieht die Benediktsregel neben dem gemeinsamen
Opus Dei ausdrücklich auch das individuelle Beten vor, ⁷ das ebenfalls als ein
opus bezeichnet wird. ⁸ Es soll ein stilles Gebet sein, am besten mit angespanntem,
aufmerksamem Herzen (intentione cordis) und unter Tränen, dem körperlichen
Ausdruck der Bußgesinnung. Wie die ältere monastische Tradition verbindet die
Benediktsregel das Beten eng mit dem Weinen. Es gehört zu ihren grundlegenden
Forderungen, der Mönch solle die von ihm begangenen Sünden unter Tränen oder
Seufzen täglich im Gebet Gott bekennen. ⁹ Ganz besonders während der Quadragesima
solle er auf das Gebet unter Tränen, auf die Lesung, auf die Zerknirschung des
Herzens und auf Enthaltsamkeit Mühe verwenden. ¹⁰ Daneben bietet die tägliche
lectio divina reichlich Gelegenheit zu einer individuellen Frömmigkeitspflege, die
im Übrigen vom Abt als dem Lehrer seiner Mönche, ¹¹ aber auch durch die Beichte
vor dem Abt oder einem anderen geistlichen Vater ¹² gelenkt werden kann.
So sorgfältig das monastische Lebenskonzept der Benediktsregel durchdacht ist
und so wichtig darin bestimmte Verhaltensweisen gegenüber Gott sind, so wenig
ist dabei das Geschehen einer Annäherung an Gott beschrieben. Eingehendere Reflexionen
auf diesen Vorgang finden sich erst im Mönchtum des 12. Jahrhunderts –
bezeichnenderweise gleichzeitig mit der Frühscholastik, deren bedeutendster Vertreter
Petrus Abaelardus den Blick auf das menschliche Innere lenkt, wenn er das
ethische Urteil nicht mehr einfach von der Handlung, sondern von der intentio
des Handelnden, der Ausrichtung seines Willens, abhängig macht. ¹³ Im Folgenden
werde ich mich deshalb auf das Reformmönchtum des 12. Jahrhunderts konzentrieren,
genauer: auf Zisterzienser und Kartäuser, die in ihrer Gründungszeit nicht
nur durch gleichartige Bestrebungen, sondern auch durch persönliche Beziehungen
miteinander verbunden waren. Beide haben unter Rückbesinnung auf das altkirchliche
Wüstenmönchtum eine in hohem Maße asketische, durch anachoretische Neigungen
geprägte Lebensform entwickelt.
7 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 3 f., S. 150.
8 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 5, S. 150.
9 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 4, 57, S. 74.
10 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 49, 4, S. 146/148.
11 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 2, 11–15, S. 64 u. ö.
12 Regula Benedicti (wie Anm. 4), prologus, 50, S. 60; cap. 7, 44 – 48, S. 86; cap. 46, 5 f., S. 142.
13 Peter Abaelard’s Ethics, hg. von David Edward Luscombe (Oxford medieval texts), Oxford 1971, z. B.
S. 40, Z. 9 –11: Deus uero solus qui non tam quae fiunt, quam quo animo fiant adtendit, ueraciter in
intentione nostra reatum pensat et uero iudicio culpam examinat; S. 44, Z. 26 f.: Solum quippe animum
in remuneratione boni uel mali, non effecta operum, Deus adtendat.
men besonders die lectio divina und alle übrigen Tätigkeiten des einzelnen Mönchs
sein Verhältnis zu Gott. Außerdem sieht die Benediktsregel neben dem gemeinsamen
Opus Dei ausdrücklich auch das individuelle Beten vor, ⁷ das ebenfalls als ein
opus bezeichnet wird. ⁸ Es soll ein stilles Gebet sein, am besten mit angespanntem,
aufmerksamem Herzen (intentione cordis) und unter Tränen, dem körperlichen
Ausdruck der Bußgesinnung. Wie die ältere monastische Tradition verbindet die
Benediktsregel das Beten eng mit dem Weinen. Es gehört zu ihren grundlegenden
Forderungen, der Mönch solle die von ihm begangenen Sünden unter Tränen oder
Seufzen täglich im Gebet Gott bekennen. ⁹ Ganz besonders während der Quadragesima
solle er auf das Gebet unter Tränen, auf die Lesung, auf die Zerknirschung des
Herzens und auf Enthaltsamkeit Mühe verwenden. ¹⁰ Daneben bietet die tägliche
lectio divina reichlich Gelegenheit zu einer individuellen Frömmigkeitspflege, die
im Übrigen vom Abt als dem Lehrer seiner Mönche, ¹¹ aber auch durch die Beichte
vor dem Abt oder einem anderen geistlichen Vater ¹² gelenkt werden kann.
So sorgfältig das monastische Lebenskonzept der Benediktsregel durchdacht ist
und so wichtig darin bestimmte Verhaltensweisen gegenüber Gott sind, so wenig
ist dabei das Geschehen einer Annäherung an Gott beschrieben. Eingehendere Reflexionen
auf diesen Vorgang finden sich erst im Mönchtum des 12. Jahrhunderts –
bezeichnenderweise gleichzeitig mit der Frühscholastik, deren bedeutendster Vertreter
Petrus Abaelardus den Blick auf das menschliche Innere lenkt, wenn er das
ethische Urteil nicht mehr einfach von der Handlung, sondern von der intentio
des Handelnden, der Ausrichtung seines Willens, abhängig macht. ¹³ Im Folgenden
werde ich mich deshalb auf das Reformmönchtum des 12. Jahrhunderts konzentrieren,
genauer: auf Zisterzienser und Kartäuser, die in ihrer Gründungszeit nicht
nur durch gleichartige Bestrebungen, sondern auch durch persönliche Beziehungen
miteinander verbunden waren. Beide haben unter Rückbesinnung auf das altkirchliche
Wüstenmönchtum eine in hohem Maße asketische, durch anachoretische Neigungen
geprägte Lebensform entwickelt.
7 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 3 f., S. 150.
8 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 5, S. 150.
9 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 4, 57, S. 74.
10 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 49, 4, S. 146/148.
11 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 2, 11–15, S. 64 u. ö.
12 Regula Benedicti (wie Anm. 4), prologus, 50, S. 60; cap. 7, 44 – 48, S. 86; cap. 46, 5 f., S. 142.
13 Peter Abaelard’s Ethics, hg. von David Edward Luscombe (Oxford medieval texts), Oxford 1971, z. B.
S. 40, Z. 9 –11: Deus uero solus qui non tam quae fiunt, quam quo animo fiant adtendit, ueraciter in
intentione nostra reatum pensat et uero iudicio culpam examinat; S. 44, Z. 26 f.: Solum quippe animum
in remuneratione boni uel mali, non effecta operum, Deus adtendat.