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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Köpf, Ulrich: Annäherung an Gott im Kloster
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0073
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72 | Ulrich Köpf
Mensch mit Leib und Seele wohne, die innere das Gewissen, in dem unser Allerinnerstes,
nämlich Gott, zusammen mit unserem Geist wohne. ⁵¹ Auf wenigen Seiten,
aus denen nur einige Ausschnitte zitiert wurden, ist hier eine ganze Theologie der
Zelle als des Ortes des Umgangs mit Gott entwickelt – nicht von einem Kartäuser,
sondern für Kartäuser und zugleich für Zisterzienser von einem Zisterzienser, der
offenbar von einem Leben als Kartäuser träumt.
Strukturen der Annäherung an Gott
In der monastischen Literatur, mit der wir uns befassen, wird der Umgang des
Menschen mit Gott auf vielfältige Weise beschrieben. Alle Autoren sind sich aber
über die Grundstruktur einer Annäherung an Gott einig: Es handelt sich nicht um
eine horizontale Bewegung wie die zwischen Mensch und Mensch, im Kloster zwischen
Mitbruder und Mitbruder, sondern um eine vertikale Bewegung von unten
nach oben. Allerdings vollzieht sich dieser Vorgang gewöhnlich nicht in der Art der
Himmelfahrt des Propheten Elia (2. Reg. 2, 11) oder gar Jesu (Mk. 16, 19; Lk. 24,
51; Act. 1, 9), sondern gleichsam als Aufstieg auf den Stufen einer Treppe oder auf
den Sprossen einer Leiter nach dem Vorbild der Jakobsleiter (Gen. 28, 12). Johannes
Klimakos, ein Sinaimönch des frühen 7. Jahrhunderts, stellt in seiner Scala paradisi
(»Leiter zum Paradies«) den Weg zu Gott in 30 Stufen (nach den 30 Lebensjahren
Jesu bei seiner Taufe) dar, die zunächst auf 15 Stufen zum tiefsten Punkt des Lasters
hinab- und von hier wieder auf 15 Stufen zurückführt bis zur höchsten Tugend der
Liebe, aus der die Schau Gottes im Licht hervorgeht. ⁵² Während sich der Aufstieg
zu Gott allmählich und unter Mühen vollzieht, kennt die christliche Tradition auch
das Phänomen einer plötzlichen Entrückung nach dem Vorbild des Apostels Paulus
(2. Kor. 12, 2– 4), das – wie sich noch zeigen wird – in einem letzten Schritt des
Weges zu Gott gelegentlich zu erfahren ist.
Doch wenden wir uns jetzt den Autoren des 12. Jahrhunderts zu. Das wichtigste
Aufstiegsschema, das sie gebrauchen, stammt ebenfalls aus der Alten Kirche und besteht
aus den drei Schritten der Reinigung (purgatio), der Erleuchtung (illuminatio)
und der Vollendung (perfectio) in der Beschauung (contemplatio). Vor allem Bernhard
von Clairvaux gebraucht es ausgiebig. In seinen Hoheliedpredigten entwickelt
51 Guillaume de Saint-Thierry, Lettre (wie Anm. 46), cap. 105, S. 226: Alia cella tua exterior, alia interior.
Exterior est domus in qua habitat anima tua cum corpore tuo; interior est conscientia tua, quam inhabitare
debet omnium interiorum tuorum interior Deus, cim spiritu tuo.
52 Vgl. Walther Völker, Scala paradisi. Eine Studie zu Johannes Climacus und zugleich eine Vorstudie zu
Symeon dem Neuen Theologen, Wiesbaden 1968.
 
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