Metadaten

Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

DOI article:
Röckelein, Hedwig: Inklusion – Exklusion: weiblich - männlich
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0144
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Inklusion – Exklusion: weiblich – männlich | 143
meinte. ⁶⁸ Caesarius sah nicht nur die Keuschheit der Frauen durch die feindliche
Umwelt bedroht, sondern auch die der Männer durch die weibliche Sexualität.
Triebhaftigkeit unterstellte er sowohl Männern als auch Frauen. ⁶⁹ Da sich Männer
ebenso wenig selbst kontrollieren könnten wie Frauen, müssten diese hinter Klostermauern
verschwinden, um jene nicht in Versuchung zu führen, so seine Logik.
An diesem Punkt weicht Caesarius von der Mehrheitsmeinung der Kirchenväter ab.
In der Patristik überwiegt die Auffassung, nur Frauen könnten sich aufgrund ihrer
natürlichen Schwäche nicht selbst kontrollieren und müssten daher von Männern
beaufsichtigt werden; ⁷⁰ Männer hingegen könnten sich aufgrund ihrer natürlichen
Stärke selbst kontrollieren.
Die Lippoldsberger Nonnen führen für die Abschließung eine ganz neue Begründung
ein, nämlich die ihrer eigenen, pauschalen Sündhaftigkeit. Sie schließen
sich der oberitalienische Bußbewegung an und nehmen die Doktrin der Reuerinnen
vorweg, einer Bewegung, die sich ausgehend von Deutschland erst Anfang des
13. Jahrhunderts in Europa verbreiten sollte.
Die weitere Entwicklung der inclusio in den europäischen Klöstern geht in den
folgenden Jahrhunderten in ganz andere Richtungen. Als die radikalste Innovation
– um den Titel des Symposiums aufzugreifen – darf die generelle Unterbringung
der Mönche und Nonnen in Einzelzellen angesehen werden. Man muss sich fragen,
wie dieser Ort, der über Jahrhunderte der Isolation und Strafe von Delinquenten
gedient hatte und daher im kollektiven Gedächtnis der Religiosen ein Ort des
Schreckens gewesen sein dürfte, zum regulären Aufenthaltsort mutieren konnte,
der das Gemeinschaftsleben im Refektorium und im Dormitorium, den symbolischen
Orten der vita communis, ab- und auflöste. Um diesen Raum positiv umzudeuten,
war ein eminenter mentaler Wandel erforderlich. Das Leben in der Zelle
führte zweifelsohne zu einer Individualisierung des Gebets und der Meditation, des
Gesprächs mit Gott. Der Klosterleitung erschwerte sie indes die Kontrolle über die
Mönche und Nonnen.
Bekanntlich verzichteten die Mendikanten anfänglich ganz auf das Claustrum;
ihr Platz war weder im Kloster noch in der Klausur, sondern in der Welt. Dort
predigten sie, dort bettelten sie für ihren Lebensunterhalt oder gingen sie einem
68 Hieronymus, Adversus Helvidium, in: Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul Migne, Bd. 23, Paris
1845, Sp. 193 –206, hier cap. 22, Sp. 206. Vgl. dazu Röckelein, Hiérarchie (wie Anm. 29), S. 205 f. mit
weiteren Verweisen.
69 Vgl. Cordula Nolte, Klosterleben (wie Anm. 38), S. 267 f.; Muschiol, Famula Dei (wie Anm. 29),
S. 79 f.
70 Vgl. dazu Hedwig Röckelein, Gender, Religion and Identity, in: Religiosità e civiltà. Identità delle
forme religiose (secoli X–XV). Atti del Convegno Internazionale, Brescia, 9 –11 settembre 2009, hg. von
Elisabetta Filippini/Giancarlo Andenna (Le Settimane internazionali della Mendola, Nuova Serie
2007–2011), Milano 2011, S. 29 – 46, bes. S. 31–33. So auch Lutter, Klausur (wie Anm. 59), S. 307.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften