Geistliche Gemeinschaften in der Welt | 149
men Lebens, des Gebets, des liturgischen Handelns und der Tischgemeinschaft für
das Entstehen einer ideellen affektiven wie kulturellen Gemeinschaft im Sinn einer
gemeinsamen Lebensweise maßgeblich und konstitutiv ist. Deren Bedeutung, nicht
zuletzt aus Gründen der Kontrolle ihrer einzelnen Mitglieder, betonen alle frühmittelalterlichen
Regeln für Männer wie Frauen, allen voran die Regula St. Benedicti.
Aus den Personen, die im Kloster zusammen kommen und eine Gruppe bilden, die
sich bestimmten Vorstellungen des Lebens in Gemeinschaft unterwirft, wird in der
spirituellen und sozialen Praxis eine Gemeinschaft. ¹²
Äbte und Äbtissinnen als Führungspersönlichkeiten und Träger charismatischer
Autorität spielten in diesem Prozess eine zentrale Rolle und befanden sich gleichzeitig
in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Aufgaben, das in den Reform-Diskussionen,
etwa der ersten Hälfte des 11. Jahrhundert thematisiert wird, mit denen
sich der Beitrag von Vanderputten beschäftigt: Setzte stabilitas loci die Anwesenheit
des Abtes im Kloster zur Gewährleistung seiner Vorbild-, Verantwortungs- und
Aufsichtsfunktionen voraus, machten es andererseits seine politischen, ökonomischen
und pastoralen Aufgaben geradezu zwingend notwendig, gleichsam ex officio
das stabilitas-Gebot nicht einzuhalten. Demgemäß war die Dialektik zwischen der
vita activa und vita contemplativa im Sinn der Regula pastoralis Gregors des Großen
ein maßgeblicher Gegenstand der Reformdebatten des 11. Jahrhunderts. ¹³ Besonders
das Verständnis einer Reform, die nicht nur den geistlichen Stand, sondern
die gesamte Gesellschaft erneuern sollte, steigerte die Ansprüche an die moralische
Autorität geistlicher Führungspersonen in der Welt ebenso wie an ihre Funktion als
Vermittler zwischen Diesseits und Jenseits und erhöhte damit die Spannung zwischen
der Forderung nach Rückzug aus der Welt und Engagement in ihr und für
sie. ¹⁴
Vanderputten stellt den Lebensentwurf des Richard von St. Vanne als Bindeglied
zwischen diesen aus der Reformpraxis resultierenden Modellen für ein neues
Amtsverständnis des Abtes als Führungsfigur vor, dessen spirituelles Verständnis
wie seine geistliche Karriere die Heterogenität von und die fließenden Übergänge
zwischen monastischen Modellen gemeinschaftlichen Lebens, aber auch darüber
12 Klaus Schreiner, Gemeinsam leben. Spiritualität, Lebens- und Verfassungsformen klösterlicher Gemeinschaften
in Kirche und Gesellschaft des Mittelalters, hg. von Mirko Breitenstein/Gert Melville
(Vita regularis. Abhandlungen 53), Berlin 2013. Zur Performativität spiritueller Praxis vgl. z. B. die Beiträge
in Understanding Monastic Practices of Oral Communication (Western Europe, Tenth-Thirteenth
Centuries), hg. von Steven Vanderputten (Utrecht Studies in Medieval Literacy 21), Turnhout 2011.
13 Steven Vanderputten in diesem Band, S. 109 –111.
14 Stefan Weinfurter, Die Macht der Reformidee. Ihre Wirkkraft in Ritualen, Politik und Moral der
spätsalischen Zeit, in: Religiöse Ordnungsvorstellungen und Frömmigkeitspraxis im Hoch- und Spätmittelalter,
hg. von Jörg Rogge (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 2),
Korb 2008, S. 13 –39.
men Lebens, des Gebets, des liturgischen Handelns und der Tischgemeinschaft für
das Entstehen einer ideellen affektiven wie kulturellen Gemeinschaft im Sinn einer
gemeinsamen Lebensweise maßgeblich und konstitutiv ist. Deren Bedeutung, nicht
zuletzt aus Gründen der Kontrolle ihrer einzelnen Mitglieder, betonen alle frühmittelalterlichen
Regeln für Männer wie Frauen, allen voran die Regula St. Benedicti.
Aus den Personen, die im Kloster zusammen kommen und eine Gruppe bilden, die
sich bestimmten Vorstellungen des Lebens in Gemeinschaft unterwirft, wird in der
spirituellen und sozialen Praxis eine Gemeinschaft. ¹²
Äbte und Äbtissinnen als Führungspersönlichkeiten und Träger charismatischer
Autorität spielten in diesem Prozess eine zentrale Rolle und befanden sich gleichzeitig
in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Aufgaben, das in den Reform-Diskussionen,
etwa der ersten Hälfte des 11. Jahrhundert thematisiert wird, mit denen
sich der Beitrag von Vanderputten beschäftigt: Setzte stabilitas loci die Anwesenheit
des Abtes im Kloster zur Gewährleistung seiner Vorbild-, Verantwortungs- und
Aufsichtsfunktionen voraus, machten es andererseits seine politischen, ökonomischen
und pastoralen Aufgaben geradezu zwingend notwendig, gleichsam ex officio
das stabilitas-Gebot nicht einzuhalten. Demgemäß war die Dialektik zwischen der
vita activa und vita contemplativa im Sinn der Regula pastoralis Gregors des Großen
ein maßgeblicher Gegenstand der Reformdebatten des 11. Jahrhunderts. ¹³ Besonders
das Verständnis einer Reform, die nicht nur den geistlichen Stand, sondern
die gesamte Gesellschaft erneuern sollte, steigerte die Ansprüche an die moralische
Autorität geistlicher Führungspersonen in der Welt ebenso wie an ihre Funktion als
Vermittler zwischen Diesseits und Jenseits und erhöhte damit die Spannung zwischen
der Forderung nach Rückzug aus der Welt und Engagement in ihr und für
sie. ¹⁴
Vanderputten stellt den Lebensentwurf des Richard von St. Vanne als Bindeglied
zwischen diesen aus der Reformpraxis resultierenden Modellen für ein neues
Amtsverständnis des Abtes als Führungsfigur vor, dessen spirituelles Verständnis
wie seine geistliche Karriere die Heterogenität von und die fließenden Übergänge
zwischen monastischen Modellen gemeinschaftlichen Lebens, aber auch darüber
12 Klaus Schreiner, Gemeinsam leben. Spiritualität, Lebens- und Verfassungsformen klösterlicher Gemeinschaften
in Kirche und Gesellschaft des Mittelalters, hg. von Mirko Breitenstein/Gert Melville
(Vita regularis. Abhandlungen 53), Berlin 2013. Zur Performativität spiritueller Praxis vgl. z. B. die Beiträge
in Understanding Monastic Practices of Oral Communication (Western Europe, Tenth-Thirteenth
Centuries), hg. von Steven Vanderputten (Utrecht Studies in Medieval Literacy 21), Turnhout 2011.
13 Steven Vanderputten in diesem Band, S. 109 –111.
14 Stefan Weinfurter, Die Macht der Reformidee. Ihre Wirkkraft in Ritualen, Politik und Moral der
spätsalischen Zeit, in: Religiöse Ordnungsvorstellungen und Frömmigkeitspraxis im Hoch- und Spätmittelalter,
hg. von Jörg Rogge (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 2),
Korb 2008, S. 13 –39.