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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Steckel, Sita: Deuten, Ordnen und Aneignen: Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher Wissenskompendien
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0213
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212 | Sita Steckel
heftigen »Entscheidungsschlachten« ⁹ wie dem berüchtigten Zusammenstoß von
Bernhard von Clairvaux († 1153) und Peter Abaelard († 1142) sozusagen als neues
Paradigma, als neue »Normalwissenschaft« durch. »Monastische« Autoren und Autorinnen
wie Rupert von Deutz († 1129), Bernhard von Clairvaux oder Hildegard
von Bingen († 1179), die sich zu neuen theologischen Tendenzen kritisch stellten, erschienen
als konservative Verweigerer, während die Tätigkeit der neuen schulischen
Elite mit Prozessen der Rationalisierung, Effizienzsteigerung und Verschriftlichung
in Verbindung gebracht wird. Jüngere Varianten der zugrundeliegenden Meta-Erzählung
sind teils abweichend akzentuiert, etwa sozioökonomisch ausgerichtet wie
die Überlegungen Richard I. Moores zu einer europäisch identitätsbildenden »First
European Revolution«. ¹⁰ Doch erscheint Religiosität – nicht zuletzt offenbar auf
den Spuren der »Renaissance«-Idee des 19. Jahrhunderts – als Hemmschuh und
»Anderes« moderner Wissenschaftlichkeit.
Diesen Fahrrinnen auf dem traditionsreichen Forschungsfeld ist nur zu entkommen,
wenn man die Engführungen bewusst macht. Die alte Frage nach der
Bedeutung hochmittelalterlicher Wissensproduktion für gesamtgesellschaftliche
Transformationsprozesse scheint etwa durchaus weiterhin legitim und interessant.
Genauso legitim ist jedoch die Frage nach der Rolle spezifisch klösterlicher oder
religioser Wissensproduktion, die bislang wegen des Fokus auf säkularen Themen
zu wenig gestellt oder zumindest nicht im selben Atemzug diskutiert wurde. Dies
scheint nicht zuletzt dem gedanklichen Rahmen eines »Paradigmenwechsels« von
älterer »Monastik« zu neuer »Scholastik« geschuldet, der sehr deutlich als Einengung
moderner Wahrnehmungen hervortritt. Er ist jedoch längst hinderlich für die
Erforschung hochmittelalterlicher Wissenskulturen geworden. Genau wie das Etikett
der »Renaissance« hat er sich überlebt, denn mehrere mit ihm einhergehende
Ausgangsannahmen haben Geltung verloren und ihren bestehenden forschungspragmatischen
Nutzen eingebüßt. ¹¹
In vorderster Linie betrifft dies das Verständnis von Religion und von Wissen
(-schaft). Teile der älteren Forschung nahmen implizit oder explizit an, dass hoch-
9 Vgl. Southern, Scholastic Humanism (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 115.
10 Vgl. Robert Ian Moore, Die erste Europäische Revolution. Gesellschaft und Kultur im Hochmittelalter,
München 2001 (englisch 2000).
11 Für differenziertere Überlegungen vgl. in diesem Band den Beitrag von Frank Rexroth sowie bereits
Sita Steckel, Kulturen des Lehrens im Früh- und Hochmittelalter. Autorität, Wissenskonzepte und
Netzwerke von Gelehrten (Norm und Struktur 39), Köln/Weimar/Wien 2011, bes. S. 51–75 sowie Dies.,
Säkularisierung, Desakralisierung und Resakralisierung. Transformationen hoch- und spätmittelalterlichen
gelehrten Wissens als Ausdifferenzierung von Religion und Politik, in: Umstrittene Säkularisierung.
Soziologische und historische Analysen zur Differenzierung von Religion und Politik, hg. von
Karl Ga briel/Christel Gärtner/Detlef Pollack, Berlin 2012, S. 134 –175, hier S. 146. Ich hoffe, in
der Zukunft nochmals genauer auf die Forschungsgeschichte zu »Schule« und »Kloster« zurückkommen
zu können.
 
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