214 | Sita Steckel
Constant J. Mews, haben mittlerweile den von Peter Classen bereits 1959 gemachten
Befund wiederholt, dass »scholastische« Handschriften nicht nur in Schulen,
sondern mit Vorliebe auch in »monastischen« Zentren gelesen wurden. ¹⁵ Immer
wieder hat man sich dabei wie bei Herrads Hortus deliciarum stolz erstaunt über
die Innovativität klösterlicher Leser und Leserinnen gezeigt. Es gälte aber, über das
topische Erstaunen hinauszugelangen und den Befund ernstzunehmen: Gehören
Klöster und Stifte vielleicht gar zu den wichtigsten Abnehmern gelehrter Wissensproduktion
im Hochmittelalter? ¹⁶ Müssten wir die längst vorliegenden Forschungen
nicht einmal unter diesem Gesichtspunkt in Zusammenschau bringen, um so
die mittelfristig angelegte, generationenübergreifende Dynamik des Aufkommens,
der Verbreitung und der Festigung innovativer wissensgeschichtlicher Tendenzen
in den Blick zu bekommen?
Das Beispiel der klösterlichen Weltenzyklopädie Herrads von Hohenburg
könnte vor diesem Hintergrund auch anders auf die Innovation der Schulen bezogen
werden: Interessant ist an ihm nicht nur, dass ein »neues« Wissen der Schulen
rezipiert wird. Aufschlussreich erscheint schon die Form des kompendiösen Überblicks,
der sich offenbar einem bestimmten Bedarf verdankte. Ziel der Wissensaneignung
im Stift Hohenburg war jedoch nicht etwa eine theologische Spezialausbildung,
sondern offenbar die christliche Vervollkommnung und Heilsgewinnung
15 Vgl. Peter Classen, Zur Geschichte der Frühscholastik in Österreich und Bayern, in: Ders., Ausgewählte
Aufsätze, hg. von Josef Fleckenstein/Carl Joachim Classen/Johannes Fried (Vorträge und
Forschungen 28), Sigmaringen 1983, S. 279 –306. Classen bezog sich besonders auf Süddeutschland, doch
sind mittlerweile vergleichbare Befunde auch für norddeutsche Gemeinschaften gemacht worden, vgl.
etwa Nathalie Kruppa, Reform und Bildung. Die Klosterreformen der Hildesheimer Bischöfe im 12.
Jahrhundert am Beispiel der Regularkanonikerreform, in: Innovation in Klöstern und Orden des Hohen
Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Begriffs, hg. von Mirko Breitenstein/Stefan Burkhardt/
Julia Dücker (Vita regularis. Abhandlungen 48), Berlin 2012, S. 39 – 64. Vgl. zu den süddeutschen Klöstern
Valerie Irene Jane Flint, The »School of Laon«: A Reconsideration, in: Recherches de théologie
ancienne et médiévale 43, 1976, S. 89 –110; Alison I. Beach, Women as Scribes. Book production and
Monastic Reform in Twelfth-Century Bavaria, Cambridge 2004; Manuscripts and Monastic Culture.
Reform and Renewal in Twelfth-Century Germany, hg. von ders. (Medieval Church Studies 13), Turnhout
2007; Christina Lutter, Geschlecht & Wissen, Norm & Praxis, Lesen & Schreiben. Monastische
Reformgemeinschaften im 12. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
43), Wien/München 2005; Volkhard Huth, Staufische »Reichshistoriographie« und
scholastische Intellektualität. Das elsässische Augustinerchorherrenstift Marbach im Spannungsfeld von
regionaler Überlieferung und universalem Horizont (Mittelalter-Forschungen 14), Ostfildern 2004; Ralf
Max Willi Stammberger, The Works of Hugh of St. Victor ad Admont: A Glance at an Intellectual
Landscape in the Twelfth Century, in: Schrift, Schreiber, Schenker. Studien zur Abtei Sankt Viktor in
Paris und den Viktorinern, hg. v. Rainer Berndt SJ (Corpus Victorinum. Instrumenta 1), Berlin 2005, S.
233 –261.
16 So in Ansätzen schon Flint, The »School of Laon« (wie Anm. 15); expliziter Constant J. Mews, Scholastic
Theology in a Monastic Milieu in the Twelfth Century: The Case of Admont, in: Manuscripts and
Monastic Culture. Reform and Renewal in Twelfth-Century Germany, hg. von Alison I. Beach (Medieval
Church Studies 13), Turnhout 2007, S. 217–239.
Constant J. Mews, haben mittlerweile den von Peter Classen bereits 1959 gemachten
Befund wiederholt, dass »scholastische« Handschriften nicht nur in Schulen,
sondern mit Vorliebe auch in »monastischen« Zentren gelesen wurden. ¹⁵ Immer
wieder hat man sich dabei wie bei Herrads Hortus deliciarum stolz erstaunt über
die Innovativität klösterlicher Leser und Leserinnen gezeigt. Es gälte aber, über das
topische Erstaunen hinauszugelangen und den Befund ernstzunehmen: Gehören
Klöster und Stifte vielleicht gar zu den wichtigsten Abnehmern gelehrter Wissensproduktion
im Hochmittelalter? ¹⁶ Müssten wir die längst vorliegenden Forschungen
nicht einmal unter diesem Gesichtspunkt in Zusammenschau bringen, um so
die mittelfristig angelegte, generationenübergreifende Dynamik des Aufkommens,
der Verbreitung und der Festigung innovativer wissensgeschichtlicher Tendenzen
in den Blick zu bekommen?
Das Beispiel der klösterlichen Weltenzyklopädie Herrads von Hohenburg
könnte vor diesem Hintergrund auch anders auf die Innovation der Schulen bezogen
werden: Interessant ist an ihm nicht nur, dass ein »neues« Wissen der Schulen
rezipiert wird. Aufschlussreich erscheint schon die Form des kompendiösen Überblicks,
der sich offenbar einem bestimmten Bedarf verdankte. Ziel der Wissensaneignung
im Stift Hohenburg war jedoch nicht etwa eine theologische Spezialausbildung,
sondern offenbar die christliche Vervollkommnung und Heilsgewinnung
15 Vgl. Peter Classen, Zur Geschichte der Frühscholastik in Österreich und Bayern, in: Ders., Ausgewählte
Aufsätze, hg. von Josef Fleckenstein/Carl Joachim Classen/Johannes Fried (Vorträge und
Forschungen 28), Sigmaringen 1983, S. 279 –306. Classen bezog sich besonders auf Süddeutschland, doch
sind mittlerweile vergleichbare Befunde auch für norddeutsche Gemeinschaften gemacht worden, vgl.
etwa Nathalie Kruppa, Reform und Bildung. Die Klosterreformen der Hildesheimer Bischöfe im 12.
Jahrhundert am Beispiel der Regularkanonikerreform, in: Innovation in Klöstern und Orden des Hohen
Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Begriffs, hg. von Mirko Breitenstein/Stefan Burkhardt/
Julia Dücker (Vita regularis. Abhandlungen 48), Berlin 2012, S. 39 – 64. Vgl. zu den süddeutschen Klöstern
Valerie Irene Jane Flint, The »School of Laon«: A Reconsideration, in: Recherches de théologie
ancienne et médiévale 43, 1976, S. 89 –110; Alison I. Beach, Women as Scribes. Book production and
Monastic Reform in Twelfth-Century Bavaria, Cambridge 2004; Manuscripts and Monastic Culture.
Reform and Renewal in Twelfth-Century Germany, hg. von ders. (Medieval Church Studies 13), Turnhout
2007; Christina Lutter, Geschlecht & Wissen, Norm & Praxis, Lesen & Schreiben. Monastische
Reformgemeinschaften im 12. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
43), Wien/München 2005; Volkhard Huth, Staufische »Reichshistoriographie« und
scholastische Intellektualität. Das elsässische Augustinerchorherrenstift Marbach im Spannungsfeld von
regionaler Überlieferung und universalem Horizont (Mittelalter-Forschungen 14), Ostfildern 2004; Ralf
Max Willi Stammberger, The Works of Hugh of St. Victor ad Admont: A Glance at an Intellectual
Landscape in the Twelfth Century, in: Schrift, Schreiber, Schenker. Studien zur Abtei Sankt Viktor in
Paris und den Viktorinern, hg. v. Rainer Berndt SJ (Corpus Victorinum. Instrumenta 1), Berlin 2005, S.
233 –261.
16 So in Ansätzen schon Flint, The »School of Laon« (wie Anm. 15); expliziter Constant J. Mews, Scholastic
Theology in a Monastic Milieu in the Twelfth Century: The Case of Admont, in: Manuscripts and
Monastic Culture. Reform and Renewal in Twelfth-Century Germany, hg. von Alison I. Beach (Medieval
Church Studies 13), Turnhout 2007, S. 217–239.