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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Steckel, Sita: Deuten, Ordnen und Aneignen: Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher Wissenskompendien
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0229
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228 | Sita Steckel
In der konkreten Arbeit am Text der Bibelglossierung zeigt sich intellektuelle
Neuerung somit nicht als Systematisierung im Sinne der Vervollständigung bestimmter
Textkorpora. Gerade der Traum vom Vollbesitz der patristischen Überlieferung
hatte bereits frühmittelalterliche Gelehrte umgetrieben, die in einer Klöster,
Höfe und Kathedralen umfassenden kirchlichen Wissenskultur den Plan zur Kommentierung
der gesamten Bibel überraschend weit vorantrieben. ⁵⁷ Veränderungen
sind eher in den oben beschriebenen neuen Interessensschwerpunkten sowie in einer
bald hochfrequenten Routinisierung des Umgangs mit der Bibel zu suchen: Was
im Frühmittelalter Teil gelegentlicher, vermutlich nicht öfter als wöchentlich abgehaltener
Lesekreise war, für die man sich notfalls ein Leben lang Zeit nehmen konnte,
wurde in der Schule von Laon Gegenstand täglichen Unterrichts. Ihn wollten
angehende Kleriker (die ansonsten an Kathedralschulen die Artes liberales gelernt
hätten, um sich auf eine Tätigkeit in kirchlichen und fürstlichen Verwaltungen vorzubereiten)
möglichst ohne größere Verzögerungen und Kosten absolvieren, indem
man die wichtigsten Teile der Bibel und der kirchlichen Lehre innerhalb weniger
Jahre durchging. In der Entstehung der frühen Formen der Glossa ordinaria sehen
wir ältere klösterliche Praktiken also sozusagen aufs äußerste beschleunigt.
Gleichzeitig wurde die hermeneutische Offenheit und Ambiguitätstoleranz
frühmittelalterlicher Bibelexegese ⁵⁸ durch Vereindeutigung kanalisiert. Angesichts
drängender, nunmehr politisch aufgeladener Fragen der Kirchenreform reichte das
Ansehen eines Gelehrten nicht zur Begründung seiner Überlegungen aus – es mussten
einheitliche, verbindliche und überregional anwendbare Antworten gegeben
werden. Man suchte zu Sachfragen also begründete Urteile (sententiae) von Experten.
In der Schule Anselms von Laon konnte man daher in einem zunehmend routinisierten
Unterricht lernen, die möglichen biblischen und patristischen Begründungen
für bestimmte Normen durchzuarbeiten, um selbst begründete Antworten
(sententiae) zu finden oder die Implikationen vorliegender Lösungen abzuschätzen.
Dies ließ auch »Methodik« hervortreten, die nun wichtiges Element der Begründung
für die oftmals neuen und kontroversen Normen wurde. Der typische
57 Vgl. dazu etwa Guy Lobrichon, La relecture des Pères chez les commentateurs de la Bible dans
l’occident lagin (IX–XII siècle), in: Ideologie et pratiche del reimpiego nell’alto medioevo (Settimane di
Studio del Centro Italiano di Studi sull’alto Medioevo 46), Spoleto 1999, S. 253 –282; Marc-Aeilko Aris,
Nostrum est citare testes. Anmerkungen zum Wissenschaftsverständnis des Hrabanus Maurus, in: Kloster
Fulda in der Welt der Karolinger und Ottonen, hg. von Gangolf Schrimpf (Fuldaer Studien 7), Frankfurt
am Main 1996, S. 437– 464.
58 Vgl. für den Begriff der Ambiguitätstoleranz und seine Implikationen demnächst Christel Meier, »Unusquisque
in suo sensu abundet« (Rom 14, 5). Ambiguitätstoleranz in der Theologie des lateinischen
Westens?, in: Abrahams Erbe. Konkurrenz – Konflikt – Koexistenz im Mittelalter, 15. Symposium des
Mediävistenverbandes in Heidelberg, 3. bis 6. März 2013, hg. von Ludger Lieb, Berlin 2014 (in Vorbereitung).
 
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