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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Steckel, Sita: Deuten, Ordnen und Aneignen: Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher Wissenskompendien
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0234
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Deuten, Ordnen und Aneignen | 233
zugeordnet hat, sah er sich selbst offener: Rupert ging offenbar davon aus, in einen
Kommunikationsraum der »Kirche« eingebunden zu sein, zu dem andere Gruppen
ebenfalls gehörten. Zunächst im Kloster St. Laurent in Liège ansässig und offenbar
exzellent ausgebildet, stand Rupert mit Kanonikern aus Liège in Kontakt, die ihre
Ausbildung bei Anselm von Laon erhalten hatten. Er entwickelte in einigen Jahren
des französischen Exils während des Investiturstreits auch selbst Kontakte zu den
französischen Schulen. Einen Förderer fand er schließlich in Kuno, dem ehemaligen
Abt des Reformklosters Siegburg und Bischof von Regensburg (1126 –† 1132), über
den er nach Siegburg gelangte und schließlich Abt im Kloster St. Heribert in Deutz
vor den Toren Kölns werden konnte. Dort kam er mit einem Prediger wie Norbert
von Xanten († 1134) und seinen Anhängern genauso in Kontakt wie mit den frühen
Zisterziensern.
Nicht zuletzt die hohe Dichte religiöser Zentren in den Großstädten Liège und
Köln begünstigte Prozesse des Transfers, die im Fall Ruperts jedoch zu Konflikten
wurden: Er geriet mit Akteuren aus fast allen konkurrierenden Wissensgemeinschaften
in Streit. Er wurde aber offenbar gerade dadurch zur Vorlage eigener Werke
angeregt, die andere Entwürfe zu überbieten versuchten.
Mit der auf Wortbedeutungen und Klärung einzelner Passagen der Bibel fokussierten
Arbeitsweise der Schule Anselms von Laon konnte Rupert beispielsweise
offenbar wenig anfangen. ⁷⁴ Dies lag freilich nicht an Unverständnis, sondern an
einer mangelnden Einbindung in die westeuropäischen Netzwerke, in denen man
bereits seit einer Generation über bestimmte Terminologien und Arbeitsweisen in
der Bibelauslegung verhandelte. Rupert schien die auf einzelne Wortlaute konzentrierte
Auslegung Stückwerk zu sein – er wollte die Offenbarung in ihrem tieferen
Sinn verstehen und fokussierte stärker auf das zeichenhafte Wirken Gottes in der
Welt, die Heilsgeschichte, als deren Teil er auch die schriftliche Niederlegung der
Evangelien einordnete. Nach einer Messerläuterung und anderen kleineren Werken
legte Rupert daher eine heilsgeschichtlich angeordnete Gesamtdurchdringung der
Bibel vor, in der er die biblische Geschichte danach zusammenstellte, inwiefern
sich in ihr das Wirken der drei Personen zeigte. Der Grundgedanke dieser Schrift
De sancta Trinitate et operibus eius sollte selbst eine erhebliche Karriere machen,
die über Joachim von Fiore weit in Spätmittelalter und Frühe Neuzeit vermittelt
wurde.
Rupert zerlegte also den Text der Bibel nicht problem- und sprachorientiert in
Einzelbedeutungen, sondern wollte übersprachliche, ja übermenschliche Prinzipien
74 Vgl. zur Interpretation der Arbeitsweise Ruperts Van Engen, Rupert of Deutz (wie Anm. 39), S. 56 –134;
Van Engen, Wrestling with the Word (wie Anm. 73); Diehl, Grace of Learning (wie Anm. 73).
 
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