Metadaten

Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

DOI article:
Steckel, Sita: Deuten, Ordnen und Aneignen: Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher Wissenskompendien
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0242
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Deuten, Ordnen und Aneignen | 241
Deutungsrichtung, die bei Honorius Augustodunensis oder Rupert von Deutz
stärker durchschlug, bevorzugte er jedoch eine lockerere, stärker problemorientierte
Reihung der Themen und räumte spekulativen Fragen einigen Platz ein. ⁹⁹
Ausgangsüberlegung ist bei Petrus Lombardus nicht die Heilsgeschichte, sondern
(gewissermaßen auf abstrakterer Ebene) die Überlegung Augustins, dass die Welt
in res und signa geordnet sei und diese erklärt werden müssten. Ein strikt historisch
ordnendes Prinzip gibt er daher zugunsten einer thematischen Struktur auf, die
er allerdings für schnelles Nachschlagen einzurichten suchte. ¹⁰⁰ Die Sentenzen des
Lombardus erscheinen also als neue Form eines spezialisierten, auf den schulischen
Gebrauch zugeschnittenen Wissenskompendiums.
Ganz anders akzentuiert erscheinen jedoch zwei Entwürfe, die ebenfalls aus dem
Kontext der Pariser Schulen stammen, aber von einem Regularkanoniker vorgelegt
wurden – Hugo von St. Viktor († 1141). Wie Gilbert von Poitiers und Petrus
Abaelard stand dieser Gelehrte mit der Schultradition Anselms von Laon in Verbindung.
Obwohl im Reich ausgebildet, trat Hugo in das von Wilhelm von Champeaux,
dem Schüler Anselms von Laon, 1111 gegründete neue Regularkanonikerstift
St. Viktor ein. ¹⁰¹ In diesem florierenden Konvent, der enge Kontakte zur Vielfalt der
städtischen Schulen wie übrigens auch zum Königshof unterhielt und kanonikale
Spiritualität mit pastoraler Orientierung kombinierte, zeigt sich eine dichte Verquickung
mehrerer Gebrauchskontexte. Eines der heute beliebtesten Werke Hugos,
das Didascalicon (de studio legendi), ¹⁰² zeigt sozusagen die ganze Ambivalenz der
Zeitgenossen zwischen Spezialisierung und Gesamtdeutungsversuchen: Hugo legte
mit diesem gern als »Studienführer« bezeichneten Werk kein Wissenskompendium
im bislang behandelten Sinn vor – es war letztlich bereits unmöglich, das in den profanen
und theologischen Textkorpora enthaltene Wissen knapp zusammenzufassen.
Hugo behalf sich daher mit einer systematischen Beschreibung der Gesamtheit des
Wissens und schrieb schlicht eine wissenschaftstheoretische Einleitung die umfassend
auf die vielen möglichen Studiengebiete hinleitete. Neben den »Bibliotheks-
99 Vgl. Colish, Peter Lombard (wie Anm. 27), Bd. 1, S. 78 –79.
100 Vgl. Philipp W. Rosemann, Peter Lombard (Great Medieval Thinkers), Oxford 2004, hier S. 57– 61;
Colish, Peter Lombard (wie Anm. 27), Bd. 1, S. 79 – 84; Rouse/Rouse, Statim invenire (wie Anm. 97),
S. 206.
101 Vgl. zur Gründung mit Verweisen Constant J. Mews, William of Champeaux, the Foundation of
Saint-Victor (Easter, 1111), and the Early Career of Abaelard, in: Arts du langage et théologie aux confins
des XI ᵉ /XII ᵉ siècles. Conditions et enjeux d’une mutation, hg. von Irène Rosier-Catach (Studia
Artistarum 26), Turnhout 2007, S. 83 –104.
102 Vgl. die deutsche Übersetzung Hugo von Sankt Viktor, Didascalicon De Studio Legendi. Studienbuch.
Lateinisch – Deutsch, übers. und eingeleitet von Thilo Offergeld (Fontes Christiani 27), Freiburg/
Basel/Wien u. a. 1997.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften