242 | Sita Steckel
ersatz« der Sentenzensammlung trat in Paris also der »Studienführer« als wissensorganisierende
Gattung.
In den 1130er Jahren legte Hugo nach einer Phase der Spezialisierung auf den
Bibeltext zudem noch ein großes Überblickswerk zur Sakramententheologie vor,
das die Tradition der pastoralen Sentenzensammlungen weiterführte. In seinem De
Sacramentis wurde – wiederum ähnlich wie in Honorius’ Augustodunensis Elucidarium
und einigen früheren Sentenzensammlungen – ein Überblick über Gott,
Schöpfung und kirchliche Praxis gegeben. ¹⁰³ Doch zeigt sich in Hugos Werk darüber
hinaus noch ein gesteigerter Deutungsanspruch, ¹⁰⁴ der ihn eher in die Nähe
Ruperts von Deutz rückt: Auch Hugo nahm an, dass Gott sich zeichenhaft äußerte,
wobei er neben den biblisch überlieferten Ereignissen der Heilsgeschichte
auch das »Buch der Natur« einbezog. An Augustinus anschließend stellte er daher
der Schöpfung (opus conditionis) den Heilsplan (opus restaurationis) gegenüber, der
nach und nach den Menschen Sakramente als verweisende Zeichen gab. ¹⁰⁵ Ähnlich
wie Anselm von Laon und seine Schule bzw. sogar über sie hinaus war Hugo von
St. Viktor aber am Wortlaut der Bibel, vor allem des alten Testaments, interessiert,
da er ein klares, analytisch gesichertes Verständnis der biblischen Geschichte selbst
als äußerst wichtige Grundlage einer weitergehenden kontemplativen Auseinandersetzung
ansah. Die an einem Kreuzungspunkt klösterlicher, klerikaler, schulischer
und höfischer Netzwerke stehende Schule von St. Viktor zeigt somit in Hugo auch
eine Verknüpfung der pastoralen Praxisorientierung, der wissenschaftstheoretischdidaktischen
Fundierung sowie der historischen und religiösen Gesamtdeutung
gelehrten Wissens.
Eine ähnliche Überlagerung verschiedener Kontexte und Intentionen darf man
dem Hortus Deliciarum Herrads von Hohenburg attestieren, der als einer von wenigen
Texten des 12. Jahrhunderts ebenfalls Tendenzen zur Spezialisierung mit dem
Anspruch auf kompendiöse Gesamtdarstellung verbindet. Herrads Auswahl von
103 Vgl. mit Verweisen auf die ältere Literatur Hugo von St. Viktor. Über die Heiltümer des Christlichen
Glaubens, übers. von Peter Knauer, Einleitung, Apparate, Bibliographie und Register von Rainer
Berndt (Corpus Victorinum – Schriften 1), Münster 2010. Zu Ähnlichkeiten zwischen Hugo von St.
Victor und Honorius Augustodunensis vgl. Elucidarium (wie Anm. 19), S. 205; Gottschall, Das
»Elucidarium« (wie Anm. 19), S. 21 f.
104 Vgl. zu Hugos Theologie insgesamt Jochim Ehlers, Hugo von St. Viktor (Frankfurter Historische Abhandlungen
7), Wiesbaden 1973 sowie zuletzt die Beiträge in Bibel und Exegese in der Abtei Saint-Victor
zu Paris. Form und Funktion eines Grundtextes im europäischen Rahmen, hg. von Rainer Berndt
(Corpus Victorinum. Instrumenta 3), Münster 2009; Matthias Martin Tischler, Die Bibel in Saint-Victor
zu Paris. Das Buch der Bücher als Gradmesser für wissenschaftliche, soziale und ordensgeschichtliche
Umbrüche im europäischen Hoch- und Spätmittelalter (Corpus Victorinum – Instrumenta 6),
Münster 2014.
105 Vgl. etwa Hugo von St. Viktor, Über die Heiltümer (wie Anm. 103), Vorwort des ersten Buches, S. 44 –
49, hier S. 45.
ersatz« der Sentenzensammlung trat in Paris also der »Studienführer« als wissensorganisierende
Gattung.
In den 1130er Jahren legte Hugo nach einer Phase der Spezialisierung auf den
Bibeltext zudem noch ein großes Überblickswerk zur Sakramententheologie vor,
das die Tradition der pastoralen Sentenzensammlungen weiterführte. In seinem De
Sacramentis wurde – wiederum ähnlich wie in Honorius’ Augustodunensis Elucidarium
und einigen früheren Sentenzensammlungen – ein Überblick über Gott,
Schöpfung und kirchliche Praxis gegeben. ¹⁰³ Doch zeigt sich in Hugos Werk darüber
hinaus noch ein gesteigerter Deutungsanspruch, ¹⁰⁴ der ihn eher in die Nähe
Ruperts von Deutz rückt: Auch Hugo nahm an, dass Gott sich zeichenhaft äußerte,
wobei er neben den biblisch überlieferten Ereignissen der Heilsgeschichte
auch das »Buch der Natur« einbezog. An Augustinus anschließend stellte er daher
der Schöpfung (opus conditionis) den Heilsplan (opus restaurationis) gegenüber, der
nach und nach den Menschen Sakramente als verweisende Zeichen gab. ¹⁰⁵ Ähnlich
wie Anselm von Laon und seine Schule bzw. sogar über sie hinaus war Hugo von
St. Viktor aber am Wortlaut der Bibel, vor allem des alten Testaments, interessiert,
da er ein klares, analytisch gesichertes Verständnis der biblischen Geschichte selbst
als äußerst wichtige Grundlage einer weitergehenden kontemplativen Auseinandersetzung
ansah. Die an einem Kreuzungspunkt klösterlicher, klerikaler, schulischer
und höfischer Netzwerke stehende Schule von St. Viktor zeigt somit in Hugo auch
eine Verknüpfung der pastoralen Praxisorientierung, der wissenschaftstheoretischdidaktischen
Fundierung sowie der historischen und religiösen Gesamtdeutung
gelehrten Wissens.
Eine ähnliche Überlagerung verschiedener Kontexte und Intentionen darf man
dem Hortus Deliciarum Herrads von Hohenburg attestieren, der als einer von wenigen
Texten des 12. Jahrhunderts ebenfalls Tendenzen zur Spezialisierung mit dem
Anspruch auf kompendiöse Gesamtdarstellung verbindet. Herrads Auswahl von
103 Vgl. mit Verweisen auf die ältere Literatur Hugo von St. Viktor. Über die Heiltümer des Christlichen
Glaubens, übers. von Peter Knauer, Einleitung, Apparate, Bibliographie und Register von Rainer
Berndt (Corpus Victorinum – Schriften 1), Münster 2010. Zu Ähnlichkeiten zwischen Hugo von St.
Victor und Honorius Augustodunensis vgl. Elucidarium (wie Anm. 19), S. 205; Gottschall, Das
»Elucidarium« (wie Anm. 19), S. 21 f.
104 Vgl. zu Hugos Theologie insgesamt Jochim Ehlers, Hugo von St. Viktor (Frankfurter Historische Abhandlungen
7), Wiesbaden 1973 sowie zuletzt die Beiträge in Bibel und Exegese in der Abtei Saint-Victor
zu Paris. Form und Funktion eines Grundtextes im europäischen Rahmen, hg. von Rainer Berndt
(Corpus Victorinum. Instrumenta 3), Münster 2009; Matthias Martin Tischler, Die Bibel in Saint-Victor
zu Paris. Das Buch der Bücher als Gradmesser für wissenschaftliche, soziale und ordensgeschichtliche
Umbrüche im europäischen Hoch- und Spätmittelalter (Corpus Victorinum – Instrumenta 6),
Münster 2014.
105 Vgl. etwa Hugo von St. Viktor, Über die Heiltümer (wie Anm. 103), Vorwort des ersten Buches, S. 44 –
49, hier S. 45.