Deuten, Ordnen und Aneignen | 247
jedoch deutlich, dass sie in einem viel breiteren Kontext stehen. Zwischen c. 1050
und 1200 stritten nicht nur Vertreter der »neuen Schulen« mit Protagonisten des
Mönchtums, sondern in Wissensdingen eigentlich alle mit allen – etwa auch Mönche
mit Höflingen, schulische Magister mit ihren Kollegen oder Regularkanoniker
untereinander. ¹²¹ Um die Dichotomie von »Schule und Kloster« aufrechtzuerhalten,
wurden diese Unterschiede bislang stets nivelliert. Doch wissen wir eigentlich,
dass die Reihung von »Schule« und »Kloster« zu kurz greift. Neben verschiedenen
Arten von Schulen sowie Klöstern, Regularkanonikerkonventen und Kanonissenstiften
als Orten hochmittelalterlicher Wissensvermittlung und Wissensproduktion
stehen beispielsweise auch noch klerikal-höfische Milieus, die man mit Stephen
Jaeger schon seit dem 10. Jahrhundert als wissensgeschichtlich innovative Kontexte
ausweisen muss. ¹²² Auch die so wichtigen Städte wurden bislang fast reflexartig mit
den »Schulen« amalgamiert, könnten aber stärker in ihrer Funktion als kommunikative
Knotenpunkte ernstgenommen werden: Im hier verfolgten Kontext erwiesen
sich Städte insbesondere als Orte, an denen klösterliche Gelehrte auf ihre Gegenüber
trafen, seien diese nun Kleriker der lokalen Kirche oder Angehörige konkurrierender
klösterlicher Neugründungen. Dies trifft ausdrücklich nicht nur für die
Großstadt Paris zu, sondern lässt sich auch im kleinen St. Omer, in Köln, in Liège
und zwischen Laon, Reims und Paris beobachten.
2. Religiöse Motivationen gaben für die Dynamisierung gelehrter Wissensbestände
im Hochmittelalter wichtige Anreize – in Form individueller Impulse zur
Heilssuche und religiös akzentuierten gelehrten Erkenntnisstrebens, aber auch in
Form eines institutionell verankerten pastoralen und didaktischen Engagements
zur Belehrung von Laien oder Mitgliedern eigener religiöser Gemeinschaften. Dass
Gelehrte des Mittelalters zumeist religiöse Überzeugungen pflegten, versteht sich
von selbst und muss hier nicht betont werden. Doch könnte sich die Forschung
durchaus noch stärker der Tatsache bewusst werden, dass die Heroen der zumeist
säkular gedachten Wissenschaftsgeschichte selbstverständlich ebenfalls von religiösen
Impulsen motiviert wurden und oft genug ihre Gelehrtenrolle unter dem Druck
steigender Konkurrenz zu sakralisieren suchten. ¹²³ Gelehrte aus klösterlichen und
regulierten Kontexten wurden im Gegenspiel selbstverständlich von gelehrtem Er-
121 Vgl. Steckel, Kulturen des Lehrens (wie Anm. 11), Kap. VI; Clare Monagle, Orthodoxy and Controversy
in Twelfth-Century Religious Discourse. Peter Lombard’s Sentences and the Development of
Theology (Europa Sacra 8), Turnhout 2013; Constant J. Mews, Philosophy, Communities of Learning
and Theological Dissent in the Twelfth Century, in: The Medieval Paradigm. Religious Thought and
Philosophy. Papers of the International Congress (Rome 29 October–1 November 2005), hg. von Giulio
d’Onofrio, Turnhout 2012, S. 309 –326.
122 Jaeger, The Envy of Angels (wie Anm. 42), passim.
123 Vgl. mit Nachweisen Steckel, Kulturen des Lehrens (wie Anm. 11), S. 1077, 1080 f., 1162, 1184.
jedoch deutlich, dass sie in einem viel breiteren Kontext stehen. Zwischen c. 1050
und 1200 stritten nicht nur Vertreter der »neuen Schulen« mit Protagonisten des
Mönchtums, sondern in Wissensdingen eigentlich alle mit allen – etwa auch Mönche
mit Höflingen, schulische Magister mit ihren Kollegen oder Regularkanoniker
untereinander. ¹²¹ Um die Dichotomie von »Schule und Kloster« aufrechtzuerhalten,
wurden diese Unterschiede bislang stets nivelliert. Doch wissen wir eigentlich,
dass die Reihung von »Schule« und »Kloster« zu kurz greift. Neben verschiedenen
Arten von Schulen sowie Klöstern, Regularkanonikerkonventen und Kanonissenstiften
als Orten hochmittelalterlicher Wissensvermittlung und Wissensproduktion
stehen beispielsweise auch noch klerikal-höfische Milieus, die man mit Stephen
Jaeger schon seit dem 10. Jahrhundert als wissensgeschichtlich innovative Kontexte
ausweisen muss. ¹²² Auch die so wichtigen Städte wurden bislang fast reflexartig mit
den »Schulen« amalgamiert, könnten aber stärker in ihrer Funktion als kommunikative
Knotenpunkte ernstgenommen werden: Im hier verfolgten Kontext erwiesen
sich Städte insbesondere als Orte, an denen klösterliche Gelehrte auf ihre Gegenüber
trafen, seien diese nun Kleriker der lokalen Kirche oder Angehörige konkurrierender
klösterlicher Neugründungen. Dies trifft ausdrücklich nicht nur für die
Großstadt Paris zu, sondern lässt sich auch im kleinen St. Omer, in Köln, in Liège
und zwischen Laon, Reims und Paris beobachten.
2. Religiöse Motivationen gaben für die Dynamisierung gelehrter Wissensbestände
im Hochmittelalter wichtige Anreize – in Form individueller Impulse zur
Heilssuche und religiös akzentuierten gelehrten Erkenntnisstrebens, aber auch in
Form eines institutionell verankerten pastoralen und didaktischen Engagements
zur Belehrung von Laien oder Mitgliedern eigener religiöser Gemeinschaften. Dass
Gelehrte des Mittelalters zumeist religiöse Überzeugungen pflegten, versteht sich
von selbst und muss hier nicht betont werden. Doch könnte sich die Forschung
durchaus noch stärker der Tatsache bewusst werden, dass die Heroen der zumeist
säkular gedachten Wissenschaftsgeschichte selbstverständlich ebenfalls von religiösen
Impulsen motiviert wurden und oft genug ihre Gelehrtenrolle unter dem Druck
steigender Konkurrenz zu sakralisieren suchten. ¹²³ Gelehrte aus klösterlichen und
regulierten Kontexten wurden im Gegenspiel selbstverständlich von gelehrtem Er-
121 Vgl. Steckel, Kulturen des Lehrens (wie Anm. 11), Kap. VI; Clare Monagle, Orthodoxy and Controversy
in Twelfth-Century Religious Discourse. Peter Lombard’s Sentences and the Development of
Theology (Europa Sacra 8), Turnhout 2013; Constant J. Mews, Philosophy, Communities of Learning
and Theological Dissent in the Twelfth Century, in: The Medieval Paradigm. Religious Thought and
Philosophy. Papers of the International Congress (Rome 29 October–1 November 2005), hg. von Giulio
d’Onofrio, Turnhout 2012, S. 309 –326.
122 Jaeger, The Envy of Angels (wie Anm. 42), passim.
123 Vgl. mit Nachweisen Steckel, Kulturen des Lehrens (wie Anm. 11), S. 1077, 1080 f., 1162, 1184.