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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Steckel, Sita: Deuten, Ordnen und Aneignen: Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher Wissenskompendien
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0250
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Deuten, Ordnen und Aneignen | 249
die gesamte zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts hinweg erscheint der Austausch von
Wissen und Wissenssammlungen zwischen klösterlichen, kanonikalen und klerikalen
Zentren außerordentlich eng gewesen zu sein. Weder zeigten sich unüberwindbare
Schwellen zwischen Klöstern und Außenwelt, noch lassen sich in größerem
Umfang Gattungen auffinden, die schon auf einen rein klösterlichen oder einen
rein schulischen Gebrauchskontext bezogen erscheinen. ¹²⁷ Erst nach einer Phase
intensivierter gegenseitiger Wahrnehmung verschiedener Wissensgemeinschaften in
der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in der Austausch, Transfer, anverwandelnde
Abwehr und Debatte neuer gelehrter Entwürfe an der Tagesordnung waren,
ändert sich dies Bild. In Ansätzen schon seit c. 1100, deutlicher aber erst seit der
zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts brachte die Positionierung unterschiedlicher
Gemeinschaften zu Fragen der Ausbildung stärker unterschiedene, Wissen nur
noch selektiv aufnehmende Kompendien hervor, die sich sowohl inhaltlich wie in
ihrer materiellen Gestalt auf differierende Gebrauchskontexte beziehen lassen. Was
gelehrte Mönche und Schulmänner betrifft, scheinen übrigens Abgrenzungen vor
allem punktuell in den 1120er bis 1140er Jahren sowie etwas später aufzutreten – zu
einem Zeitpunkt, als sich beide Gruppen offenbar noch als relevant füreinander
empfanden und alle Beteiligten um die Gesamtordnung von Wahrheitserkenntnis
und Wissensvermittlung konkurrierten. Doch nach diesem Zeitpunkt setzt eine
multilaterale Abgrenzung ein.
Wenn sich diese unterschiedlichen Phasen intensiver Verknüpfung und zunehmender
Ausdifferenzierung zwischen verschiedenen Gebrauchskontexten gelehrten
Wissens weiter herausarbeiten lassen, könnte uns das eine veränderte Wahrnehmung
der Transformation gelehrten Wissens im Hochmittelalter ermöglichen.
Zunächst fällt in jedem Falle die Notwendigkeit fort, sich entweder für »Schulen«
oder für »Klöster« als Räume gelehrter Innovation zu entscheiden. In zweiter Linie
dürfte ein Aufbrechen der letztlich sehr künstlichen Kategorie »Monastik« auch
den Blick für weitere Zusammenhänge zwischen Schulen, Klöstern, Kirchen und
Reformkonventen freimachen. Vor allem können die vielfältigen Observanzen und
Verbände von reformorientierten Mönchen und Religiosen sowie von Regularkanonikern
aus dem Schatten der großen »monastischen« Autoren heraustreten.
Angesichts der hier verfolgten Überlieferungszusammenhänge drängt sich zudem
eine deutliche Vermutung auf: Die über den gesamten Zeitraum zwischen c.
1050 und 1200 neu entstehenden oder neu reformierten religiösen Gemeinschaften
waren über mehrere Generationen wesentliche Abnehmer von Wissenssammlungen.
Mutmaßlich nutzen gerade jüngere Männer- und Frauenkonvente überblicksartige
127 Wohl aber erscheint dies für höfische und städtische Kontexte gegeben, denen man beispielsweise die
Ars dictaminis zuschreiben muss, vgl. Hartmann, Ars dictaminis (wie Anm. 24).
 
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