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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Steckel, Sita: Deuten, Ordnen und Aneignen: Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher Wissenskompendien
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0251
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250 | Sita Steckel
Kompendien als »Bibliotheksersatz« für ihre neueingerichteten und ausstattungsbedürftigen
Konvente. ¹²⁸ Wie vielfach nachgewiesen ist, waren die von Männern
besetzten Konvente auch stark in die Seelsorge und die pastorale Betreuung von
Frauengemeinschaften einbezogen. Der oben angesprochene gesteigerte Bedarf an
pastoralem Wissen lag also nicht nur beim Diözesanklerus, sondern auch bei ihnen.
Wenn man diesen Befund mit den eher langsam ansteigenden Schülerzahlen an den
entstehenden »höheren« Schulen seit dem endenden 11. Jahrhundert in Abgleich
bringt, könnte man ihnen hypothetisch eine ganz entscheidende Funktion für das
Entstehen der scholastischen Wissenskultur zuweisen: Das nach Handschriftenlage
nicht unwesentlich aus Mönchen, Nonnen, Kanonikern und Kanonissinnen bestehende
»Anfangspublikum« des neuen religiösen Wissens dürfte entscheidend dazu
beigetragen haben, dass die schulische Analyse der heiligen Schriften und in ihrem
Gefolge die Professionalisierung und Systematisierung neuer Expertisebereiche ins
Rollen kam. Gemäß modernisierungstheoretischen Annahmen wird zwar immer
wieder auf die säkularen Kontexte der Städte, Höfe und kirchlichen Verwaltungen
verwiesen, um den steigenden Bedarf an gut ausgebildeten Experten im 12. Jahrhundert
zu erklären – von Peter Classens einschlägigen Überlegungen von 1966 bis
zu Robert I. Moores Darstellung von 2000 hat sich dabei wenig verändert. Doch
genau genommen war ein wesentliches Publikum vieler höherer Schulen zunächst
das extrem zahlreiche und ständig weiter anwachsende klösterliche Publikum in
reformorientierten monastischen oder kanonikalen Konventen. Bis zur zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts dürfte diese institutionelle Verdichtung der mittelalterlichen
Kirche einen entscheidenden »Anschub« für das Entstehen neuer gelehrter
Expertengruppen geleistet haben.
Gerade angesichts der Frage nach langfristiger Innovation, nach der Durchsetzung
und Auf-Dauer-Stellung von neuen Formen der Gelehrsamkeit erscheint
dieser Gedanke wichtig. Zwar bleiben die hier angestellten Überlegungen zu überprüfen.
Auch wurde in selektiver Weise vor allem auf den Kontext religiösen Wissens
eingegangen, während die so wichtigen, praxisnahen Ausbildungsbereiche des
Rechts und der Rhetorik ausgeblendet blieben, die sich stärker im Kontext älterer
höfischer und städtischer Ausbildungsformen entwickelten. Sie müssten in weiteren
Forschungen enger mit den hier nachgezeichneten Entwicklungslinien verknüpft
werden. Doch gerade diejenigen Forschungen, die bislang am stärksten an Modernisierungsdynamiken
im Hochmittelalter interessiert waren, neigten am deutlichsten
dazu, religiöse Akteure auszublenden und ihre Rolle zu minimieren. Gerade
128 Dies legen insbesondere Studien wie die von Lutter, Geschlecht & Wissen (wie Anm. 15); Manuscripts
and monastic culture (wie Anm. 15); Huth, Staufische »Reichshistoriographie« (wie Anm. 15) nahe.
 
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