254 | Thomas Ertl
des Franziskanerordens bis in die Frühe Neuzeit hinein sind nur das deutlichste
Zeichen für die kontroversen Vorstellungen und Einstellungen, die innerhalb der
Gemeinschaft existierten. ⁵
Dennoch bildeten die Mendikantenorden auch eine gewisse Form von Einheit,
getragen von einem gemeinsamen Selbstverständnis, das zunächst den jeweils eigenen
Orden umfasste, ⁶ darüber hinaus aber das Mendikantentum insgesamt umschloss
und auch von außen – beispielsweise von Testatoren – so wahrgenommen
wurde. Es lässt sich darüber streiten, ob dieses Selbstverständnis stärker durch Ideen
und Vorstellungen aus dem Inneren der Gemeinschaften oder durch die Abgrenzung
gegenüber Kritik und Angriffen von außen geformt wurde. ⁷ Vermutlich
lassen sich beide Felder nicht voneinander trennen. ⁸ Entscheidend scheint mir die
Tatsache, dass sich die Bettelbrüder stark über ihr Anderssein gegenüber Mönchen,
Weltklerikern und Laien definierten und dadurch auch ihre besondere Lebensform
legitimierten. ⁹ Die Sichtweisen und Argumente, die seit dem Pariser Universitätsstreit
für und wider die Mendikanten vorgebracht wurden, müssen an dieser Stelle
nicht wiederholt werden. Über das umfangreiche Repertoire an Invektiven und
Apologien wird in der Mendikantenforschung seit über hundert Jahren viel ge-
Religiosentum, hg. von Sébastian Barret/Gert Melville (Vita regularis. Abhandlungen 27), Münster
2005.
5 Einen Überblick über die spannungsreiche Geschichte des Ordens im Mittelalter bietet Duncan Nimmo,
Reform and Division in the Medieval Franciscan Order. From Saint Francis to the Foundation of the
Capuchins (Bibliotheca Seraphico-Capuccina 33), Rom 1987.
6 Dieter Berg, Vita minorum. Zum Wandel des franziskanischen Selbstverständnisses im 13. Jahrhundert, in:
Wissenschaft und Weisheit 45, 1982, S. 157–196; Ders., Geschichtsschreibung und historisches Bewusstsein.
Zur Entwicklung der franziskanischen Historiographie im Hohen und Späten Mittelalter, in: Fratre
Francesco d’Assisi. Atti del XXI Convegno internazionale, Assisi 14 –16 ottobre 1993 (Atti dei Convegni
della Società Internazionale di Studi Francescani e del Centro Interuniversitario di Studi Francescani, Nuova
Serie 4), Spoleto 1994, S. 221–248.
7 Zur Außenwahrnehmung vgl. Gert Melville, Duo novae conversationis ordines. Zur Wahrnehmung der
frühen Mendikanten vor dem Problem institutioneller Neuartigkeit im mittelalterlichen Religiosentum, in:
Die Bettelorden im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum,
hg. von Gert Melville/Jörg Oberste (Vita regularis. Abhandlungen 11), Münster 1999, S. 1–23;
André Vauchez, Les reactions face aux ordres mendiants dans les chroniques rédigées en France au XIII ᵉ
siècle, in: Finances, pouvoirs et mémoire. Mélanges offerts à Jean Favier, hg. von Jean Kerhervé/Albert
Rigaudière, Brest 1999, S. 539 –548; Ramona Sickert, Wenn Klosterbrüder zu Jahrmarktsbrüdern
werden. Studien zur Wahrnehmung der Franziskaner und Dominikaner im 13. Jahrhundert (Vita regularis.
Abhandlungen 28), Berlin 2006.
8 Zum Prozess der Identitätsbildung durch Selbstvergewisserung und Abgrenzung exemplarisch Christian
Jörg/Kenneth Scott Parker/Nina Pleuger u. a., Soziale Konstruktion von Identität. Prozesse christlicher
Selbstvergewisserung im Kontakt mit anderen Religionen, in: Integration und Desintegration der
Kulturen im europäischen Mittelalter, hg. von Michael Borgolte/Julia Dücker/Marcel Müllerburg
u.a. (Europa im Mittelalter 18), Berlin 2001, S. 17–102.
9 Zur Lebensform vgl. Kaspar Elm, Vita franciscana, in: ders., Vitasfratrum. Beiträge zur Geschichte der
Eremiten- und Mendikantenorden des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Festgabe zum 65. Geburtstag,
hg. von Dieter Berg, Werl 1994, S. 143 –154.
des Franziskanerordens bis in die Frühe Neuzeit hinein sind nur das deutlichste
Zeichen für die kontroversen Vorstellungen und Einstellungen, die innerhalb der
Gemeinschaft existierten. ⁵
Dennoch bildeten die Mendikantenorden auch eine gewisse Form von Einheit,
getragen von einem gemeinsamen Selbstverständnis, das zunächst den jeweils eigenen
Orden umfasste, ⁶ darüber hinaus aber das Mendikantentum insgesamt umschloss
und auch von außen – beispielsweise von Testatoren – so wahrgenommen
wurde. Es lässt sich darüber streiten, ob dieses Selbstverständnis stärker durch Ideen
und Vorstellungen aus dem Inneren der Gemeinschaften oder durch die Abgrenzung
gegenüber Kritik und Angriffen von außen geformt wurde. ⁷ Vermutlich
lassen sich beide Felder nicht voneinander trennen. ⁸ Entscheidend scheint mir die
Tatsache, dass sich die Bettelbrüder stark über ihr Anderssein gegenüber Mönchen,
Weltklerikern und Laien definierten und dadurch auch ihre besondere Lebensform
legitimierten. ⁹ Die Sichtweisen und Argumente, die seit dem Pariser Universitätsstreit
für und wider die Mendikanten vorgebracht wurden, müssen an dieser Stelle
nicht wiederholt werden. Über das umfangreiche Repertoire an Invektiven und
Apologien wird in der Mendikantenforschung seit über hundert Jahren viel ge-
Religiosentum, hg. von Sébastian Barret/Gert Melville (Vita regularis. Abhandlungen 27), Münster
2005.
5 Einen Überblick über die spannungsreiche Geschichte des Ordens im Mittelalter bietet Duncan Nimmo,
Reform and Division in the Medieval Franciscan Order. From Saint Francis to the Foundation of the
Capuchins (Bibliotheca Seraphico-Capuccina 33), Rom 1987.
6 Dieter Berg, Vita minorum. Zum Wandel des franziskanischen Selbstverständnisses im 13. Jahrhundert, in:
Wissenschaft und Weisheit 45, 1982, S. 157–196; Ders., Geschichtsschreibung und historisches Bewusstsein.
Zur Entwicklung der franziskanischen Historiographie im Hohen und Späten Mittelalter, in: Fratre
Francesco d’Assisi. Atti del XXI Convegno internazionale, Assisi 14 –16 ottobre 1993 (Atti dei Convegni
della Società Internazionale di Studi Francescani e del Centro Interuniversitario di Studi Francescani, Nuova
Serie 4), Spoleto 1994, S. 221–248.
7 Zur Außenwahrnehmung vgl. Gert Melville, Duo novae conversationis ordines. Zur Wahrnehmung der
frühen Mendikanten vor dem Problem institutioneller Neuartigkeit im mittelalterlichen Religiosentum, in:
Die Bettelorden im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum,
hg. von Gert Melville/Jörg Oberste (Vita regularis. Abhandlungen 11), Münster 1999, S. 1–23;
André Vauchez, Les reactions face aux ordres mendiants dans les chroniques rédigées en France au XIII ᵉ
siècle, in: Finances, pouvoirs et mémoire. Mélanges offerts à Jean Favier, hg. von Jean Kerhervé/Albert
Rigaudière, Brest 1999, S. 539 –548; Ramona Sickert, Wenn Klosterbrüder zu Jahrmarktsbrüdern
werden. Studien zur Wahrnehmung der Franziskaner und Dominikaner im 13. Jahrhundert (Vita regularis.
Abhandlungen 28), Berlin 2006.
8 Zum Prozess der Identitätsbildung durch Selbstvergewisserung und Abgrenzung exemplarisch Christian
Jörg/Kenneth Scott Parker/Nina Pleuger u. a., Soziale Konstruktion von Identität. Prozesse christlicher
Selbstvergewisserung im Kontakt mit anderen Religionen, in: Integration und Desintegration der
Kulturen im europäischen Mittelalter, hg. von Michael Borgolte/Julia Dücker/Marcel Müllerburg
u.a. (Europa im Mittelalter 18), Berlin 2001, S. 17–102.
9 Zur Lebensform vgl. Kaspar Elm, Vita franciscana, in: ders., Vitasfratrum. Beiträge zur Geschichte der
Eremiten- und Mendikantenorden des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Festgabe zum 65. Geburtstag,
hg. von Dieter Berg, Werl 1994, S. 143 –154.