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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Ertl, Thomas: Pragmatische Visionäre? Die mendikantische Sicht der Welt im 13. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0264
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Pragmatische Visionäre? | 263
eine heilsgeschichtliche Aufgabe zu erfüllen hatte. ⁴⁷ Allerdings deuteten mendikantische
Autoren und auch Salimbene diesen Führungsanspruch niemals als »Willen
zur Macht«, wie dies die Gegner der Bettelmönche häufig taten. Die Minderen Brüder
interpretierten ihre exponierte Stellung vielmehr als eine drückende Last der
Verantwortung, die geschultert werden musste, um die Kirche vor dem Untergang
zu bewahren und die Christenheit in eine bessere Zukunft zu geleiten. ⁴⁸ Abhängig
jeweils von Form, Inhalt und Ziel ihrer Schriften, widmeten mendikantische Autoren
dieser heilsgeschichtlichen Aufgabe und der damit verbundenen Führungsrolle
in der Welt mehr oder weniger viel Raum. Eine Chronik ist als Literaturgattung für
Diskussionen dieser Art weniger prädestiniert als ein theologischer oder hagiographischer
Text. Dennoch kam auch Salimbene immer wieder auf dieses Thema zu
sprechen.
Bei der Legitimierung ihrer Führungsaufgaben spielte das Thema der Bildung
und der pastoralen Kompetenzen häufig eine zentrale Rolle. ⁴⁹ Auf die umfangreiche
Literatur zur Bildungsfrage im Franziskanerorden muss ich nicht eingehen.
Unstrittig scheint mir, dass die Brüder seit der Frühzeit des Ordens nach pastoraler
Verantwortung strebten – sehr schnell taten sie dies mit dem Hinweis auf ihren
Bildungsvorsprung. Das geflügelte Wort »Wissen ist Macht« (Nam et ipsa scientia
potestas est) wird dem frühneuzeitlichen Philosophen Francis Bacon zugeschrieben,
hätte aber ohne weiteres von einem Bettelmönch stammen können – wäre da
nicht die allzu offenkundige Verknüpfung mit Macht und Autorität im irdischen
Sinn, welche die Bettelmönche zumindest in ihren Schriften immer ablehnten. ⁵⁰
Die gesellschaftliche Funktion von Bildung musste Salimbene nicht erörtern; zu
selbstverständlich war ihm die Vorstellung von der Erhabenheit des eigenen Ordens.
Hinsichtlich dieser Überzeugung von der eigenen Bedeutsamkeit glichen die
Franziskaner trotz aller inneren Divergenzen einer textual community, die aus ei-
47 Anton Rotzetter, Eschatologie und Utopie im franziskanischen Denken. Die utopischen Vorstellungen
der ersten Franziskaner, in: Franziskanische Studien 67, 1985, S. 107–113.
48 Ernst Benz, Ecclesia spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation,
Stuttgart 1934.
49 Zur Funktion der Bildung im Franziskanerorden vgl. Bert Roest, Converting the Other and Converting
the Self: Double Objectives in Franciscan Educational Writings, in: Christianizing Peoples and Converting
Individuals, hg. von Guyda Armstrong/Ian Nicholas Wood (International Medieval Research 7),
Turnhout 2000, S. 295 –302. Zur Bedeutung der Seelsorge vgl. Michael Robson, A ministry of preachers
and confessors. The pastoral impact of the friars, in: A History of Pastoral Care, hg. von Gillian Rosemary
Evans, London 2000, S. 126 –147.
50 Zur kritischen Außenwahrnehmung vgl. Thomas Ertl, Franziskanische Armut in der Kritik. Anti-mendikantische
Wahrnehmungsmuster im Wandel (13.–15. Jahrhundert), in: Gelobte Armut. Armutskonzepte
der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, hg. von Heinz-Dieter
Heimann/Angelica Hilsebein/Bernd Schmies u. a., Paderborn 2012, S. 369 –392, hier S. 369 –392.
 
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