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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Melville, Gert: Innovation aus Verantwortung: Kloster und Welt im Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0351
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350 | Gert Melville
tielle Vollzug dieses Bewusstseins und lassen sich dann als Konsequenzen aus der
Verantwortungsübernahme darstellen. Wir müssen sie gesondert aufdecken – und
dies dürfte nicht schwer fallen.
Die Cluniazenser schufen innovativ jenes in ihrer Zeit unübertroffene System
des Zusammenziehens von Kontemplation und Apostolat, das ermöglichte, mittels
prunkvollster Liturgie, ununterbrochener Gebete und Prozessionen, gigantischer
Kirchen und abundanter Werke der Nächstenliebe die Größe und Pracht Gottes
in ihnen selbst zu vergegenwärtigen und damit durch sie als deren symbolische
Verkörperung auf die Welt wirken zu lassen. Nie zuvor und nie mehr danach war
die Lebensform des Mönchtums derart frei und selbstbestimmt, die ihr eigenen
Potentiale zum Nutzen der Christenheit dominant zu entfalten.
Die Regularkanoniker schufen auf der Basis einer noch nicht einmal von Anfang
an vorhandenen, im Ganzen sehr vagen Regel und einer verklärenden Vorstellung
von der Urgemeinde der Apostelgeschichte ebenfalls innovativ ein System, in dem
zwei keineswegs analoge Bereiche des Religiösen strikt zusammengeführt worden
sind: monastische Klösterlichkeit und Seelsorge. Weit über die in ihrer Laschheit
von der Reformkirche geschmähten Normen der herkömmlichen Aachener Beschlüsse
vom Beginn des 9. Jahrhunderts hinausführend, betonten sie absolute persönliche
Besitzlosigkeit, strikten Gehorsam und totale Integration in ein Gemeinschaftsleben.
Auf diese Weise den Mönchen gleichgeformt, waren oder schienen sie
geschützt vor den Anfechtungen der Welt, gewannen sie für die Welt den Ruf der
Reinheit und Verlässlichkeit in einer Zeit tiefer klerikaler Krise und vermochten
dadurch ihre seelsorgerischen Leistungen – um derentwillen sie als Licht der Welt
und Salz der Erde bezeichnet worden sind – optimal zu vollbringen.
Franziskus und zumindest seine frühen Jünger wollten nichts anderes als das
Evangelium in Nachfolge Christi leben und vorleben. Gleichwohl schufen sie zur
Verwirklichung dieses Vorsatzes eine innovative Struktur in der Geschichte des Religiosentums.
Christus in seiner Armut und seiner Unbehaustheit nachzuahmen
und der Welt dieses Nachahmen zu zeigen, damit es von ihr selbst wieder nachgeahmt
werden konnte, sprengte den Einschluss in ein Kloster, ließ – wie es hieß – die
ganze Welt zum Kloster werden. In einer Theologie der Unbehaustheit und Armut
verband sich altbekanntes Wanderpredigertum mit konsequenter Christusnachfolge
und eröffnete dadurch in ganz neuer Weise ein verinnerlichtes Evangelium zum
modellhaften Nachvollzug jedermanns.
Die Dominikaner erwiesen sich unter den aufgeführten religiösen Vereinigungen
zweifelsohne als die Innovativsten und damit auch als die im Erfolg Nachhaltigsten.
Sie verknüpften nämlich die übernommene Verantwortung für die Christenheit mit
den bereits geschilderten Strukturen interner Verantwortlichkeit in nicht mehr zu
überbietender Stringenz. Um dies nun noch etwas näher zu beleuchten, diene zu-
 
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