356 | Bernd Schneidmüller
ren – heute offensichtlich zur selbstverständlichen Alltagssprache der Mediaevistik
gehören, wurde die »Bändigung von Transzendenz« schon kritischer bedacht. Die
Idee, dass für mittelalterliche Gemeinschaften der Innovationsbegriff nützlich sein
könnte, spaltete schließlich die Kommunität der Mediaevistinnen und Mediaevisten.
Handelt es sich hier um eine unzulässige Bedeutungszuschreibung, die Mittelalter
einfach nur interessant machen möchte?
Die Vorbehalte gegen eine rasante Dynamik vergangener Zeiten erscheinen
angesichts moderner Beschleunigungserfahrungen vor allem in Technik und Wissenschaften
so immens, dass man Mönche und Nonnen am allerwenigsten mit
Fortschritt in Verbindung bringen möchte. Gewiss fließen bei solcher Vorsicht
das prägende Bild vom Mittelalter als einer im Rückblick auf ein Jahrtausend verschmirgelten
Epoche und das mangelnde aktuelle Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit
klösterlichen Lebens zusammen. Die Erfindung des Mittelalters als eines überwundenen
Zeitalters in Humanismus und Aufklärung ist ebenso bekannt wie der
Eifer von Mediaevistinnen oder Mediaevisten, die ihrer Epoche besonderes Interesse
zuteil werden lassen und dunkle Schatten beständig hinwegforschen. Das Alles
gehört wie ein »basso continuo« zum Alltag der Mittelalterforschung und müsste
gar nicht mehr eigens erwähnt werden.
Der unbefangene Zugang zur Erforschung einer dynamischen vita religiosa in
monastischen Gemeinschaften der Vergangenheit wird aber nicht minder durch
extreme Krisenerfahrungen klösterlichen Lebens in unserer Gegenwart geprägt.
Die scheinbare Statik des monastischen Lebens macht heute eine Konversion vielfach
unattraktiv. So führt der Nachwuchsmangel zu ausgeprägter Überalterung.
Inzwischen gehören die Klöster zu den Problemfeldern kirchlicher Praxis. Manche
schätzen zwar ihre ausgeprägte Spiritualität als Gegenwelt für zeitweilige Ausstiege
aus dem Alltag. Viele besuchen sie als Schatzhäuser vergangener Kunst. Längst erschließt
der gepflegte Kulturtourismus die ins UNESCO-Welterbe der Menschheit
aufgestiegenen Stätten für einen aufblühenden Reisemarkt. Doch die heutigen klösterlichen
Pflegefälle lassen kaum erahnen, dass in solchen Räumen einmal zündende
Ideen über die Erkenntnis von Gott und der Welt formuliert, dass neue Ordnungskonzepte
entwickelt und dass in rationaler Praxis umwälzende zukunftsweisende
Lebensmodelle erprobt wurden.
Historikerinnen und Historiker werden auf den Wegen zur Vergangenheit zwar
von den Prägungen ihrer Zeit geleitet und begleitet. Doch sie dürfen sich auch von
unerwarteten Entdeckungen und von Andersartigkeiten in der Geschichte verblüffen
lassen. Für die historische Innovationsforschung wurden die Vorschläge von
Rainer Christoph Schwinges wichtig, weil er an die Stelle subjektiver Beschleunigungserfahrungen
unserer Gegenwart ein ebenso klares wie plurales Kriterienbün-
ren – heute offensichtlich zur selbstverständlichen Alltagssprache der Mediaevistik
gehören, wurde die »Bändigung von Transzendenz« schon kritischer bedacht. Die
Idee, dass für mittelalterliche Gemeinschaften der Innovationsbegriff nützlich sein
könnte, spaltete schließlich die Kommunität der Mediaevistinnen und Mediaevisten.
Handelt es sich hier um eine unzulässige Bedeutungszuschreibung, die Mittelalter
einfach nur interessant machen möchte?
Die Vorbehalte gegen eine rasante Dynamik vergangener Zeiten erscheinen
angesichts moderner Beschleunigungserfahrungen vor allem in Technik und Wissenschaften
so immens, dass man Mönche und Nonnen am allerwenigsten mit
Fortschritt in Verbindung bringen möchte. Gewiss fließen bei solcher Vorsicht
das prägende Bild vom Mittelalter als einer im Rückblick auf ein Jahrtausend verschmirgelten
Epoche und das mangelnde aktuelle Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit
klösterlichen Lebens zusammen. Die Erfindung des Mittelalters als eines überwundenen
Zeitalters in Humanismus und Aufklärung ist ebenso bekannt wie der
Eifer von Mediaevistinnen oder Mediaevisten, die ihrer Epoche besonderes Interesse
zuteil werden lassen und dunkle Schatten beständig hinwegforschen. Das Alles
gehört wie ein »basso continuo« zum Alltag der Mittelalterforschung und müsste
gar nicht mehr eigens erwähnt werden.
Der unbefangene Zugang zur Erforschung einer dynamischen vita religiosa in
monastischen Gemeinschaften der Vergangenheit wird aber nicht minder durch
extreme Krisenerfahrungen klösterlichen Lebens in unserer Gegenwart geprägt.
Die scheinbare Statik des monastischen Lebens macht heute eine Konversion vielfach
unattraktiv. So führt der Nachwuchsmangel zu ausgeprägter Überalterung.
Inzwischen gehören die Klöster zu den Problemfeldern kirchlicher Praxis. Manche
schätzen zwar ihre ausgeprägte Spiritualität als Gegenwelt für zeitweilige Ausstiege
aus dem Alltag. Viele besuchen sie als Schatzhäuser vergangener Kunst. Längst erschließt
der gepflegte Kulturtourismus die ins UNESCO-Welterbe der Menschheit
aufgestiegenen Stätten für einen aufblühenden Reisemarkt. Doch die heutigen klösterlichen
Pflegefälle lassen kaum erahnen, dass in solchen Räumen einmal zündende
Ideen über die Erkenntnis von Gott und der Welt formuliert, dass neue Ordnungskonzepte
entwickelt und dass in rationaler Praxis umwälzende zukunftsweisende
Lebensmodelle erprobt wurden.
Historikerinnen und Historiker werden auf den Wegen zur Vergangenheit zwar
von den Prägungen ihrer Zeit geleitet und begleitet. Doch sie dürfen sich auch von
unerwarteten Entdeckungen und von Andersartigkeiten in der Geschichte verblüffen
lassen. Für die historische Innovationsforschung wurden die Vorschläge von
Rainer Christoph Schwinges wichtig, weil er an die Stelle subjektiver Beschleunigungserfahrungen
unserer Gegenwart ein ebenso klares wie plurales Kriterienbün-