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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Schneidmüller, Bernd: Deuten und Gestalten in mittelalterlichen Klöstern als Innovation: Ein Schlusswort
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0362
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Deuten und Gestalten in mittelalterlichen Klöstern als Innovation | 361
(Jens Röhrkasten). ⁹ Dass im kleinen Leben aber mehr Individualität möglich war,
als wir dem Spätmittelalter zutrauen, zeigt sich darin, dass der einzelne Mönch ins
Bild kommen konnte. Auch Individuen, nicht nur Institutionen ließen sich in dieser
Welt historisieren (Gabriela Signori). Die Ambivalenz von Zwang und Freiheit löste
sich niemals wirklich auf, weil der Mönch sich in der völligen Freiheit des Christen
zu Gott wandte und dafür die totale Regulierung im Kloster wählte.
Weltdeutung durch Wissenskonfiguration – oder: Wie lassen sich Gott und die
Welt erfassen? Die Mendikanten des 13. Jahrhunderts starteten als Antwort auf diese
Frage ehrgeizige Versuche. Sie deuteten die Welt in ganzheitlichen Entwürfen oder
mittels einzelner Exempla (Sita Steckel) und verschränkten himmlische Visionen
mit irdischer Pragmatik (Thomas Ertl). Diese Spannungen durchzogen ihre Texte,
die bei allem Willen zur Kohärenz doch die Verwandlung von Einheit in Einzelheiten
erkennen lässt. Im 13. Jahrhundert löste sich die Geschichte in Geschichten auf
und ließ sich nur mühsam wieder zu einem großen Ganzen zusammensetzen. ¹⁰ Die
Spannungen zwischen den letztendlich gescheiterten mendikantischen Projekten
einer enzyklopädischen Totalerfassung von Welt- und Heilsgeschichte und ihrer
Auflösung teleologischer Geschichtsschreibung in Exempelsammlungen verdienen
besondere Aufmerksamkeit. ¹¹ Neben die großen Specula eines Vincenz von Beauvais,
der die Fülle von Natur und Geschichte in dickleibigen Folianten zu bändigen
versuchte, traten zisterziensische oder dominikanische Exempelsammlungen eines
Caesarius von Heisterbach, eines Richalm von Schöntal oder eines Thomas von
Cantimpré. Ihr Zweck und ihre Rationalität beginnen sich in neuesten Forschungen
erst wieder langsam zu erschließen; dazu sind im Heidelberger Klöster-Projekt
Arbeiten von Julia Burkhardt und Verena Schenk zu Schweinsberg zu erwarten. ¹²
Die Mainzer Diskussionen über Mendikantentum, Schulen und Universitäten
machten ein wichtiges Forschungsdesiderat deutlich. Klösterliche und außerklösterliche
Erfahrens- und Wissensräume treten in ihren Wechselwirkungen nämlich
erst langsam in den Blick. Prozesse von Transfer, Durchdringung, Verschränkung
und Amalgamierung sollten theoretisch wie inhaltlich studiert werden, etwa zwi-
9 Künftig: Rules and Observance. Devising Forms of Communal Life, hg. von Mirko Breitenstein/Julia
Burkhardt/Stefan Burkhardt/Jens Röhrkasten (Vita Regularis) [in Druckvorbereitung].
10 Hinweise auf Quellen und Literatur bei Bernd Schneidmüller, Die Ordnung von Welt und Geschichte,
in: Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit, hg. von Matthias Puhle,
Bd. 1: Essays, Mainz 2009, S. 446 – 457.
11 Wegweisungen bei Markus Schürer, Das Exemplum oder die erzählte Institution. Studien zum Beispielgebrauch
bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts (Vita regularis. Abhandlungen
23), Berlin 2005.
12 Erste Hinweise: Innovation in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines
Begriffs, hg. von Mirko Breitenstein/Stefan Burkhardt/Julia Dücker (Vita regularis. Abhandlungen
48), Berlin 2012.
 
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