Deuten und Gestalten in mittelalterlichen Klöstern als Innovation | 363
an die Jünger zielte darauf, Salz der Erde zu sein, zu den Menschen zu gehen, alle
Völker bis an die Enden der Welt für den neuen Bund Gottes mit den Menschen
zu gewinnen. Dafür hätte es keiner klösterlichen Klausur und keiner Herauslösung
von geistlichen Spezialisten aus der menschlichen Gemeinschaft bedurft.
Die monastische Geschichtlichkeit entsprang der Parusieverzögerung und damit
der Frustrationserfahrung, wie sich Generationen von Christen vor der Endzeit in
dieser Welt und in ihrem Leben einrichten sollten. Im Christentum der verschiedenen
Geschwindigkeiten wollten die Klöster und vor allem die neuen Orden seit
dem 12. Jahrhundert ganz vorne sein. Aus geistlicher Ungeduld sollte ein Abbild
vom himmlischen Gottesreich schon auf Erden errichtet werden.
Im Hinblick auf die göttliche Norm blieb die erreichte Form aber bloßes Stückwerk.
Das Streben nach Vollkommenheit band zwar den ganzen Menschen ein und
machte ihm dennoch im systematischen Misserfolg seine Grenzen klar. Solche Paradoxien
prägten die vita religiosa seit ihren Anfängen. Auch die heutigen Christinnen
und Christen lassen sich in ihrer irdischen Gebundenheit davon begleiten.
Historisch unterschiedlich waren und sind indes die Reaktionen auf solche Endlichkeitserfahrungen.
Individuelle Trieb- und Lebensregulierungen wie der gemeinschaftliche Weg zur
Christusnachfolge wurden in den Klöstern des 12. und 13. Jahrhunderts anders
gestaltet, als dies in der individuellen Gnadentheologie der Reformatoren seit dem
16. Jahrhundert geschah. Der reformatorische Bruch mit gegenweltlichen Lebensgemeinschaften
zugunsten einer direkten Verbindung des Individuums mit Gott
veränderte nicht nur die Klostergeschichte des lateinischen Christentums, sondern
auch die Perspektiven der historischen Erforschung von älteren Gemeinschaftsidealen
und -praktiken, die noch ganz auf die Integration des Einzelnen in die Kommunität
gesetzt hatten. Forschungen zu historischen Orden und Klöstern entgingen
weder den Gegenwartserfahrungen mit Orden und Klöstern noch konnten sie sich
in der Neuzeit aus konfessionellen Kontroversen vom »richtigen« Weg des Menschen
zu Gott lösen. Der Wechsel solcher Blickwinkel und die Verschiebung von
Wertigkeiten müssen in einem Forschungsprojekt zu Klöstern im Hochmittelalter
besonders bedacht werden.
Deshalb ist der ungebrochene Optimismus Ottos von Freising aus dem 12. oder
Bonaventuras aus dem 13. Jahrhundert zu historisieren. Beide sahen ein neues und
finales Zeitalter der Klöster und Mönche heraufziehen und bewältigten mit dieser
Zukunftsvision ihre bedrängte Gegenwart. ¹³ Solche vergangenen Formen des Deutens
und Gestaltens, die wir als gescheitert ansehen möchten, erfordern von der
13 Joachim Ehlers, Otto von Freising. Ein Intellektueller im Mittelalter, München 2013.
an die Jünger zielte darauf, Salz der Erde zu sein, zu den Menschen zu gehen, alle
Völker bis an die Enden der Welt für den neuen Bund Gottes mit den Menschen
zu gewinnen. Dafür hätte es keiner klösterlichen Klausur und keiner Herauslösung
von geistlichen Spezialisten aus der menschlichen Gemeinschaft bedurft.
Die monastische Geschichtlichkeit entsprang der Parusieverzögerung und damit
der Frustrationserfahrung, wie sich Generationen von Christen vor der Endzeit in
dieser Welt und in ihrem Leben einrichten sollten. Im Christentum der verschiedenen
Geschwindigkeiten wollten die Klöster und vor allem die neuen Orden seit
dem 12. Jahrhundert ganz vorne sein. Aus geistlicher Ungeduld sollte ein Abbild
vom himmlischen Gottesreich schon auf Erden errichtet werden.
Im Hinblick auf die göttliche Norm blieb die erreichte Form aber bloßes Stückwerk.
Das Streben nach Vollkommenheit band zwar den ganzen Menschen ein und
machte ihm dennoch im systematischen Misserfolg seine Grenzen klar. Solche Paradoxien
prägten die vita religiosa seit ihren Anfängen. Auch die heutigen Christinnen
und Christen lassen sich in ihrer irdischen Gebundenheit davon begleiten.
Historisch unterschiedlich waren und sind indes die Reaktionen auf solche Endlichkeitserfahrungen.
Individuelle Trieb- und Lebensregulierungen wie der gemeinschaftliche Weg zur
Christusnachfolge wurden in den Klöstern des 12. und 13. Jahrhunderts anders
gestaltet, als dies in der individuellen Gnadentheologie der Reformatoren seit dem
16. Jahrhundert geschah. Der reformatorische Bruch mit gegenweltlichen Lebensgemeinschaften
zugunsten einer direkten Verbindung des Individuums mit Gott
veränderte nicht nur die Klostergeschichte des lateinischen Christentums, sondern
auch die Perspektiven der historischen Erforschung von älteren Gemeinschaftsidealen
und -praktiken, die noch ganz auf die Integration des Einzelnen in die Kommunität
gesetzt hatten. Forschungen zu historischen Orden und Klöstern entgingen
weder den Gegenwartserfahrungen mit Orden und Klöstern noch konnten sie sich
in der Neuzeit aus konfessionellen Kontroversen vom »richtigen« Weg des Menschen
zu Gott lösen. Der Wechsel solcher Blickwinkel und die Verschiebung von
Wertigkeiten müssen in einem Forschungsprojekt zu Klöstern im Hochmittelalter
besonders bedacht werden.
Deshalb ist der ungebrochene Optimismus Ottos von Freising aus dem 12. oder
Bonaventuras aus dem 13. Jahrhundert zu historisieren. Beide sahen ein neues und
finales Zeitalter der Klöster und Mönche heraufziehen und bewältigten mit dieser
Zukunftsvision ihre bedrängte Gegenwart. ¹³ Solche vergangenen Formen des Deutens
und Gestaltens, die wir als gescheitert ansehen möchten, erfordern von der
13 Joachim Ehlers, Otto von Freising. Ein Intellektueller im Mittelalter, München 2013.