120
III. Die Rezeptionsgeschichte
„Im Jahr des Herrn 1388, am 3. September, wurde dieses Buch vollendet. Es wurde
auf Befehl des ehrwürdigen Herrn Guy de Roye, der damals Erzbischof von Sens
war, geschrieben und kopiert von Wilhelm von Bruolio, seinem Kaplan und Diener.
Dies geschah in Avignon, wo sich der erwähnte Herr mit dem heiligsten Vater in
Christus, Clemens, damals der 7. Papst [dieses Namens] aus göttlicher Vorsehung, in
dessen 10. [Amts-] Jahr aufgehalten hatte. Ich bitte deshalb alle Leser dieses Buches,
Gott zu preisen und für das Wohlergehen und Heil des genannten Vaters und all
seiner Freunde und Wohltäter zu bitten.“60
Allein für die Geschichte des „Avignonesischen Papsttums“, das hier direkt ange-
sprochen wird, ist der Schreibervermerk von Wert. Er verrät nämlich, dass der fran-
zösische Prälat Guy de Roye gute Beziehungen zu dem vorrangig von französischen
und italienischen Kardinälen gestützten „Gegenpapst“ Clemens VII. unterhielt und
sich um 1388 (also in dessen zehnten Jahr als Papst) mehrere Wochen bei Clemens in
Avignon aufgehalten haben muss. Darüber hinaus gibt Wilhelms Vermerk Auf-
schluss über die zeitgenössischen Mechanismen der Beschaffung und weiteren Ver-
wendung von Büchern: Das Reimser Exemplar des „Bienenbuchs“ entstand mutmaß-
lich unter Nutzung einer Vorlage aus der bischöflichen Bibliothek im südfranzösischen
Avignon und wurde wohl noch im selben Jahr in das nordfranzösische Sens in den
Besitz des Erzbischofs gebracht. Als Guy de Roye zwei Jahre später die Würde des
Erzbischofs von Reims erlangte, nahm er seine Bücher offenbar an die neue Wir-
kungsstätte mit, weshalb sich das betreffende Exemplar heute im Bestand der Biblio-
theque municipale von Reims befindet.61
Nachweislich als Eigentum einer Einzelperson wechselte auch das heute in Tü-
bingen verwahrte Exemplar des „Bienenbuchs“ seinen Ort. Wie ein Besitzvermerk
aus dem 15. Jahrhundert verrät, gehörte das Manuskript Konrad Coci, dem Lektor
der Würzburger Dominikaner.62 Konrad war jedoch nicht der Erstbesitzer, sondern
hatte den Codex offenbar von Geiso Thormann, einem Kanoniker des Stifts Haug
bei Würzburg, übernommen 63 1484, also rund sechzig Jahre später, wurde die
60 Reims, Bibliotheque municipale, cod. 1372/k 582, fol. 115r: Anno Domini M CCC octogesimo oc-
tavo, die III mensis septembris, finitus est Uber iste quoad scripturam, de precepto reverendissimi
patris domini Guidonis de Roya, tune archiepiscopi Senonensis, scriptusper Guillelmum de Bruo-
lio, ipsius capellanum et servitorem. Et fuit hoc in Avinione, ubi idem dominus erat tune degens
cum sanctissimo in Christo patre domino Clemente, divinaprovidentia tune papa VIIo, anno ipsius
Xo, indictione undecima. Idcirco rogo legentes quot rogent Deum pro prosperitate et salute prefati
reverendipatris et omnium amicorum et benefactorum suorum.
61 S. zur Geschichte erneut Le Braz, La bibliotheque de Guy de Roye.
62 Coci ist für die 1470er Jahre verschiedentlich als Lektor der Würzburger Dominikaner bezeugt
S. Sprandel-Krafft, Bibliothek der Würzburger Dominikaner, S. 416.
63 Tübingen, Universitätsbibliothek, Cod. 116, fol. Ir: Iste Uber est fratris Conradis Koci [Name ge-
tilgt] lectoris ordinis Predicatorum de Herbipoli predicanti in Lautern, sowie ebd., weiter unten:
Et spectat ad dominum Gyronem canonicum, in Haagis extra muros civitatis Herbipolensis con-
sanguineum suum. Zu Geiso s. Bünz, Stift Haug, Bd. 1, S. 322, Anm. 263.
III. Die Rezeptionsgeschichte
„Im Jahr des Herrn 1388, am 3. September, wurde dieses Buch vollendet. Es wurde
auf Befehl des ehrwürdigen Herrn Guy de Roye, der damals Erzbischof von Sens
war, geschrieben und kopiert von Wilhelm von Bruolio, seinem Kaplan und Diener.
Dies geschah in Avignon, wo sich der erwähnte Herr mit dem heiligsten Vater in
Christus, Clemens, damals der 7. Papst [dieses Namens] aus göttlicher Vorsehung, in
dessen 10. [Amts-] Jahr aufgehalten hatte. Ich bitte deshalb alle Leser dieses Buches,
Gott zu preisen und für das Wohlergehen und Heil des genannten Vaters und all
seiner Freunde und Wohltäter zu bitten.“60
Allein für die Geschichte des „Avignonesischen Papsttums“, das hier direkt ange-
sprochen wird, ist der Schreibervermerk von Wert. Er verrät nämlich, dass der fran-
zösische Prälat Guy de Roye gute Beziehungen zu dem vorrangig von französischen
und italienischen Kardinälen gestützten „Gegenpapst“ Clemens VII. unterhielt und
sich um 1388 (also in dessen zehnten Jahr als Papst) mehrere Wochen bei Clemens in
Avignon aufgehalten haben muss. Darüber hinaus gibt Wilhelms Vermerk Auf-
schluss über die zeitgenössischen Mechanismen der Beschaffung und weiteren Ver-
wendung von Büchern: Das Reimser Exemplar des „Bienenbuchs“ entstand mutmaß-
lich unter Nutzung einer Vorlage aus der bischöflichen Bibliothek im südfranzösischen
Avignon und wurde wohl noch im selben Jahr in das nordfranzösische Sens in den
Besitz des Erzbischofs gebracht. Als Guy de Roye zwei Jahre später die Würde des
Erzbischofs von Reims erlangte, nahm er seine Bücher offenbar an die neue Wir-
kungsstätte mit, weshalb sich das betreffende Exemplar heute im Bestand der Biblio-
theque municipale von Reims befindet.61
Nachweislich als Eigentum einer Einzelperson wechselte auch das heute in Tü-
bingen verwahrte Exemplar des „Bienenbuchs“ seinen Ort. Wie ein Besitzvermerk
aus dem 15. Jahrhundert verrät, gehörte das Manuskript Konrad Coci, dem Lektor
der Würzburger Dominikaner.62 Konrad war jedoch nicht der Erstbesitzer, sondern
hatte den Codex offenbar von Geiso Thormann, einem Kanoniker des Stifts Haug
bei Würzburg, übernommen 63 1484, also rund sechzig Jahre später, wurde die
60 Reims, Bibliotheque municipale, cod. 1372/k 582, fol. 115r: Anno Domini M CCC octogesimo oc-
tavo, die III mensis septembris, finitus est Uber iste quoad scripturam, de precepto reverendissimi
patris domini Guidonis de Roya, tune archiepiscopi Senonensis, scriptusper Guillelmum de Bruo-
lio, ipsius capellanum et servitorem. Et fuit hoc in Avinione, ubi idem dominus erat tune degens
cum sanctissimo in Christo patre domino Clemente, divinaprovidentia tune papa VIIo, anno ipsius
Xo, indictione undecima. Idcirco rogo legentes quot rogent Deum pro prosperitate et salute prefati
reverendipatris et omnium amicorum et benefactorum suorum.
61 S. zur Geschichte erneut Le Braz, La bibliotheque de Guy de Roye.
62 Coci ist für die 1470er Jahre verschiedentlich als Lektor der Würzburger Dominikaner bezeugt
S. Sprandel-Krafft, Bibliothek der Würzburger Dominikaner, S. 416.
63 Tübingen, Universitätsbibliothek, Cod. 116, fol. Ir: Iste Uber est fratris Conradis Koci [Name ge-
tilgt] lectoris ordinis Predicatorum de Herbipoli predicanti in Lautern, sowie ebd., weiter unten:
Et spectat ad dominum Gyronem canonicum, in Haagis extra muros civitatis Herbipolensis con-
sanguineum suum. Zu Geiso s. Bünz, Stift Haug, Bd. 1, S. 322, Anm. 263.