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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0013
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XII

Einleitung des Herausgebers

3. Jaspers' geschichtsphilosophischer Standpunkt
Sein Interesse an einer Universalgeschichte hat Jaspers bereits im Januar 1948 anläss-
lich einer Sitzung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften bekundet, als er dort
einen Vortrag »Zur Frage der Struktur der Weltgeschichte« hielt.* * * 11 Sein geschichtsphi-
losophisches Projekt, das er mit Vom Ursprung und Ziel der Geschichte verwirklichen
wollte, erwähnt er auch in einem Brief an Hannah Arendt vom 10. April 1948. Dort
berichtet er: »Ich will lesen über: »Probleme einer Weltgeschichte der Philosophie<
- beginne mit einem weltgeschichtlichen Totalaspekt, doch darüber läßt sich in Kürze
nichts sagen. Der Sinn ist: Was machen wir mit der Geschichte? - und: ein Ganzes von
China bis zum Abendland: Wurzel der Menschheit. Recht große Ansprüche. Wenn ich
es nicht gut mache, wird es Unsinn.«12 In einem weiteren Brief an Arendt vom 22. Mai
1948 schreibt Jaspers: »Das Sommerkolleg soll gleich, wenn es gelingt, ein Buch wer-
den: »Ursprung und Einheit der Geschichte<«.13 Dies weist darauf hin, dass Jaspers für
das vorliegende Buch zunächst einen Titel im Sinn hatte, in dem von der Einheit und
nicht vom Ziel der Geschichte die Rede ist. Letztlich gab er aber nur einem Teilkapitel
des dritten Hauptteils den Titel »Die Einheit der Geschichte«.
Dass die dabei gemeinte Einheit der Geschichte nicht als a priori vorgefasste »Ge-
samtanschauung« der Geschichte zu verstehen ist, zeigt im vorliegenden Buch die ein-
leitende Kritik an den Geschichtsauffassungen von Arnold Toynbee und Oswald
Spengler. Spenglers Hypostasierung von Kulturganzheiten hält Jaspers entgegen, dass
es eine Ganzheit oder Einheit der Geschichte nur in Form von »Ideen eines relativen
geistigen Ganzen« und von »Schemata solcher Ideen in idealtypischen Konstruktio-
nen« geben könne (vgl. in diesem Band, 14-15, Fußnote iii]).14 In Abgrenzung von der
Geschichtswissenschaft sieht Jaspers die Aufgabe der Geschichtsphilosophie darin, in
Anbetracht der unendlichen Vielfalt des Naturgeschehens und der empirisch erforsch-
baren historischen Ereignisse nach einer Einheit zu suchen, einem »Sinn« oder einer
»Struktur der Weltgeschichte«, die »die Menschheit im Ganzen« betrifft (vgl. 247). Al-
lerdings ist diese Sinneinheit nie empirisch einlösbar, sie bleibt stets nur Idee bzw. eine
stets von neuem zu erwägende Möglichkeit unter anderen.
Vergleicht man den geschichtsphilosophischen Standpunkt, den Jaspers in diesem
Buch vertritt, mit anderen geschichtsphilosophischen Positionen, so erweist sich Jas-
pers weder als Vertreter einer Wiederkehrs- oder Zyklentheorie über den Verlauf der

n Vgl. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Jahreshefte 1943-1955, Heidel-
berg 1959, 45. Fragmente dieses Vortrags finden sich in Form eines Typoskripts im Jaspers-Nach-
lass im DLA in Marbach. Einzelne Passagen hat Jaspers überarbeitet und erweitert im ersten Teil
dieses Buches verwendet (vgl. 13-71).
12 H. Arendt, K. Jaspers: Briefwechsel, 142.
13 Ebd., 146.
14 Hier werden Bezüge zu Kants Begriff der »regulativen Ideen« und zu Max Webers methodologi-
scher Konzeption des »Idealtypus« offensichtlich.
 
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