Metadaten

Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0015
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
XIV

Einleitung des Herausgebers

gründ der Unberechenbarkeit der menschlichen Existenz und der Unfertigkeit und
Unabgeschlossenheit des Menschseins prinzipiell nicht vorhersehbar.18
4. Jaspers’ Begriffe der Geschichte und Geschichtlichkeit
In Jaspers’ Gesamtwerk finden sich an vielen Orten Reflexionen über die Geschichte.
Dabei gilt es drei verschiedene Aspekte des Wortes »Geschichte« zu unterscheiden:
(1) Geschichte als zeitlicher Ablauf von Ereignissen;
(2) Geschichte als Beschäftigung mit dem Ablauf von Ereignissen in Form der
Geschichtswissenschaft;
(3) das subjektive Erleben des Ablaufs von Ereignissen im Sinne von »Geschicht-
lichkeit«.
Besonders in den existenzphilosophischen Schriften wird der dritte Aspekt erör-
tert, d.h. der Stellenwert der Geschichte für das individuelle Menschsein. Dabei wird
auch zwischen einem »historischen Bewußtsein« und einem »geschichtlichen Be-
wußtsein« unterschieden.19 Das historische Bewusstsein bezieht sich auf das objektive,
sachliche Wissen von historischen Ereignissen, der Ausdruck »geschichtliches Be-
wußtsein« hebt hingegen die subjektive Stellungnahme und persönliche Aneignung
von historischen Ereignissen und historischem Wissen hervor. Dabei wird die These
vertreten, dass bei der existentiellen Selbstverwirklichung des Menschen ein Akt bzw.
Prozess der existentiellen Aneignung der Lebensform und des Denkens von histori-
schen Persönlichkeiten eine wichtige Rolle spielt. Der Subjektivitätsaspekt der Aneig-
nung von Geschichte gilt als ein wesentlicher Grund für die Einmaligkeit bzw. Einzig-
artigkeit und Unersetzbarkeit jedes Individuums.
Dass für Jaspers bei der Frage nach dem Sinn der Geschichte auch der Begriff der
»Geschichtlichkeit« bedeutsam ist, ergibt sich aus dem Kontext der Diskussion um die-
sen Begriff. Er tauchte gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahezu gleichzeitig mit dem
Begriff des Historismus in der geschichtswissenschaftlichen und philosophischen Dis-
kussion auf.20 Sowohl in der Tradition des Historismus (L. v. Ranke, F. Meinecke) als

18 In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass es zwischen Jaspers’ Geschichtsauffassung
und jener eines bedeutenden Zeitgenossen, des liberalen Philosophen K. R. Popper, erstaunli-
che Ähnlichkeiten gibt, ohne dass ein direkter Einfluss feststellbar wäre. Auch für Popper ist die
Zukunft prinzipiell offen, weil das menschliche Handeln und die Ideenkreation nicht wissen-
schaftlich vorhersehbar sind; auch für Popper gibt es einen revolutionären Einschnitt und huma-
nitären Aufbruch in der Menschheitsgeschichte (den Eintritt des Menschen in die Entwicklung
einer »offenen Gesellschaft« im antiken Griechenland im vierten Jahrhundert v. Chr.). Zu Pop-
pers Kritik an deterministischen Geschichtsdeutungen vgl. K. R. Popper: Das Elend des Historizis-
mus, Tübingen 1965, XI, 5-39,83-126; sowie ders.: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde II, Tübin-
gen 7i992,223-229, 304-328.
19 Vgl. K. Jaspers: Philosophie II, 118-148, 393-414.
20 Vgl. G. Bauer: »Geschichtlichkeit«. Wege und Irrwege eines Begriffs, Göttingen 1963.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften