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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0022
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Einleitung des Herausgebers

XXI

das durch den Hinweis auf den dreifachen Ursprung der Philosophie in China, Indien
und dem Abendland von vornherein auf ein interkulturelles Verstehen anderer Kultu-
ren abziele. Er habe mit der Achsenzeitthese die einseitige Auffassung vom alleinigen
Ursprung der Philosophie im antiken Griechenland korrigiert. Damit werde auch die
eurozentrische Anmaßung relativiert, die vor allem Hegel verbreitet hat, als er behaup-
tete, die Philosophie sei bloß auf einem Kontinent, nämlich Europa, entstanden.45
Seit den 1980er Jahren erlebt die Achsenzeitthese eine Renaissance in Arbeiten auf
den Gebieten der Religionssoziologie, der vergleichenden Kultur- und Zivilisations-
theorie sowie der Theorie der Moderne und der Globalisierung. Diese Renaissance zeigt
sich besonders in englischsprachigen Publikationen, in denen mit Bezug auf Jaspers’
These von einer »axial period«, einer »axial stage in world history«, »axial civilisa-
tions«, »axial transformations«, einem »axial moment«, »axial breakthrough«, »axial
turn« in der Weltgeschichte oder einem »axial model« die Rede ist.46
Ein großes Verdienst für die Rezeption von Jaspers’ These in diesen Kontexten hat der
israelische Soziologe und Religionswissenschaftler Shmuel N. Eisenstadt (1923-2010). Er
war bei der Planung und Organisation von Konferenzen und Forschungsprogrammen
führend beteiligt, bei denen es u.a. um die Diskussion folgender Fragen ging: Gibt es ge-
meinsame strukturelle Merkmale, aufgrund derer in den drei voneinander unabhängi-
gen Achsenzeitkulturen die kulturellen Umbrüche erfolgt sind? Welche gesellschaftlichen
und politischen Voraussetzungen waren die Ursachen für die kulturellen Revolutionen
und geistigen Aufbrüche, die von Jaspers’ These für China, Indien und das Abendland
behauptet werden? Spielte das Entstehen von neuen dualistischen Weltinterpretationen
(Eisenstadt: »transzendentalen Visionen«) eine entscheidende Rolle, weil es dadurch
möglich wurde, der irdischen eine überirdische Ordnung entgegenzusetzen und von die-
ser aus die starren irdischen Ordnungen in Frage zu stellen? Wurden die traditionellen
Welterklärungen und kollektiven kulturellen Sinnkonzepte durch neue geistige Eliten

45 Vgl. R. A. Mall und H. Hülsmann (Hg.): Die drei Geburtsorte der Philosophie. China, Indien, Europa,
Bonn 1989, 60-66; R. A. Mall: »Begriff, Inhalt, Methode und Hermeneutik der interkulturellen
Philosophie«, in: Philosophische Grundlagen der Interkulturalität, hg. von R. A. Mall und D. Lohmar,
Amsterdam 1993,1-27,23-24; R. A. Mall: Philosophie im Vergleich der Kulturen, Darmstadt 1996,160;
ders.: »Interkulturelle Philosophie und deren Ansätze bei Jaspers«, in: R. Wiehl, D. Kaegi (Hg.):
Karl Jaspers - Philosophie und Politik, Heidelberg 1999,145-162; J. Dittmer: »Jaspers’ >Achsenzeit<
und das interkulturelle Gespräch«, in: D. Becker (Hg.): Globaler Kampf der Kulturen? Analyse und
Orientierungen, Stuttgart 1999,191-214,191, 214; R. A. Mall: »Karl Jaspers’s Axial Age Theory: Its
Relevance for Contemporary Cross-cultural Philosophy«, in: K. Salamun, G. J. Walters (Hg.): Karl
Jaspers’s Philosophy: Expositions &Interpretations, Amherst, NY 2008,219-240,221-223.
46 Vgl. S. N. Eisenstadt: The Origins and Diversity of Axial Age Civilisations, Albany 1986; Y. Lambert:
»Religion in Modernity as a New Axial Age: Secularization or New Religious Forms?«, in: Socio-
logy ofReligion 60/3 (1999) 303-333; J. P. Arnason, S. N. Eisenstadt, B. Wittrock (Hg.): Axial Civili-
sations and World History, Leiden 2005; in diesem Sammelband gehören diese Termini zum
Standardvokabular in jedem der 25 Artikel, die von Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaftlern
bzw. -Wissenschaftlerinnen verfasst wurden.
 
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