Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
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sehen in ihrer Mehrzahl nicht folgen konnten. Was zuerst Freiheit der Bewegung war,
wurde am Ende Anarchie. Als das Schöpfertum dem Zeitalter verlorenging, geschah in
den drei Kulturbereichen die Fixierung von Lehrmeinungen und die Nivellierung. Aus
der unerträglich werdenden Unordnung erwuchs der Drang zu neuer Bindung in der
Wiederherstellung dauernder Zustände.
Der Abschluß ist zunächst politisch. Es entstehen gewaltsam durch Eroberung
große, allbeherrschende Reiche fast gleichzeitig in China (Tsin Schi huang-ti)11, in In-
dien (Maurya-Dynastie), im Abendland (die hellenistischen Reiche und das Imperium
Romanum). Überall wurde im Zusammenbruch zunächst eine technisch und organi-
satorisch planmäßige Ordnung gewonnen.
Aber überall blieb der Bezug auf den Geist des Vorhergehenden. Er wurde Vorbild und
Gegenstand der Verehrung. Seine Werke und die großen Persönlichkeiten standen vor
Augen und wurden Inhalt von Schule und Erziehung (die Han-Dynastie konstituierte
den Konfuzianismus, Asoka den Buddhismus, das Augusteische Zeitalter die bewußte
hellenisch-römische Bildung).
| Die am Ende der Achsenzeit erwachsenen Universalreiche hielten sich als für die 25
Ewigkeit gegründet. Doch ihre Stabilität war trügerisch. Wenn diese Reiche, gemes-
sen an den Staatsbildungen der Achsenzeit, auch lange dauerten, sie gerieten alle in
Verfall und lösten sich auf. Die Jahrtausende seitdem brachten außerordentlichen
Wechsel. Zerfall und Wiederherstellung von Großreichen war unter diesem Aspekt
die Geschichte seit dem Ende der Achsenzeit, wie sie es vorher durch Jahrtausende
der alten Hochkulturen gewesen war, aber in einem anderen Sinn, nämlich noch
ohne die Spannung zum Geiste, der in der Achsenzeit erwachsen ist und von daher
ständig wirksam wurde, indem er allem menschlichen Tun eine neue Fragwürdigkeit
und Bedeutung gab.
b. Die Struktur der Weltgeschichte von der Achsenzeit her entworfen
Hinweise auf einige Tatsachen, wie ich sie gab, genügen nicht, um die endgültige Über-
zeugung von der Wahrheit einer geschichtlichen Anschauung zu bewirken. Nur die
Vergegenwärtigung der Fülle historischer Überlieferung kann zu wachsender Klarheit
der These führen oder zu ihrer Preisgabe. Diese Vergegenwärtigung ist nicht Sache
eines kurzen Buches. Meine Hinweise bedeuten Frage und Aufforderung, es mit der
These zu versuchen.
Nehmen wir an, sie sei wahr, so scheint durch die Anschauung der Achsenzeit ein
Licht auf die gesamte Weltgeschichte zu fallen, derart, daß sich so etwas wie eine Struk-
tur der Weltgeschichte abzeichnet. Versuche ich eine Andeutung dieser Struktur:
1. Die Jahrtausende alten Hochkulturen hören mit der Achsenzeit überall auf, die Ach-
senzeit schmilzt sie ein, übernimmt sie, läßt sie versinken, sei es, daß das gleiche Volk das
Neue trug, sei es, daß es andere Völker waren. Was vor der Achsenzeit war, konnte groß-
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sehen in ihrer Mehrzahl nicht folgen konnten. Was zuerst Freiheit der Bewegung war,
wurde am Ende Anarchie. Als das Schöpfertum dem Zeitalter verlorenging, geschah in
den drei Kulturbereichen die Fixierung von Lehrmeinungen und die Nivellierung. Aus
der unerträglich werdenden Unordnung erwuchs der Drang zu neuer Bindung in der
Wiederherstellung dauernder Zustände.
Der Abschluß ist zunächst politisch. Es entstehen gewaltsam durch Eroberung
große, allbeherrschende Reiche fast gleichzeitig in China (Tsin Schi huang-ti)11, in In-
dien (Maurya-Dynastie), im Abendland (die hellenistischen Reiche und das Imperium
Romanum). Überall wurde im Zusammenbruch zunächst eine technisch und organi-
satorisch planmäßige Ordnung gewonnen.
Aber überall blieb der Bezug auf den Geist des Vorhergehenden. Er wurde Vorbild und
Gegenstand der Verehrung. Seine Werke und die großen Persönlichkeiten standen vor
Augen und wurden Inhalt von Schule und Erziehung (die Han-Dynastie konstituierte
den Konfuzianismus, Asoka den Buddhismus, das Augusteische Zeitalter die bewußte
hellenisch-römische Bildung).
| Die am Ende der Achsenzeit erwachsenen Universalreiche hielten sich als für die 25
Ewigkeit gegründet. Doch ihre Stabilität war trügerisch. Wenn diese Reiche, gemes-
sen an den Staatsbildungen der Achsenzeit, auch lange dauerten, sie gerieten alle in
Verfall und lösten sich auf. Die Jahrtausende seitdem brachten außerordentlichen
Wechsel. Zerfall und Wiederherstellung von Großreichen war unter diesem Aspekt
die Geschichte seit dem Ende der Achsenzeit, wie sie es vorher durch Jahrtausende
der alten Hochkulturen gewesen war, aber in einem anderen Sinn, nämlich noch
ohne die Spannung zum Geiste, der in der Achsenzeit erwachsen ist und von daher
ständig wirksam wurde, indem er allem menschlichen Tun eine neue Fragwürdigkeit
und Bedeutung gab.
b. Die Struktur der Weltgeschichte von der Achsenzeit her entworfen
Hinweise auf einige Tatsachen, wie ich sie gab, genügen nicht, um die endgültige Über-
zeugung von der Wahrheit einer geschichtlichen Anschauung zu bewirken. Nur die
Vergegenwärtigung der Fülle historischer Überlieferung kann zu wachsender Klarheit
der These führen oder zu ihrer Preisgabe. Diese Vergegenwärtigung ist nicht Sache
eines kurzen Buches. Meine Hinweise bedeuten Frage und Aufforderung, es mit der
These zu versuchen.
Nehmen wir an, sie sei wahr, so scheint durch die Anschauung der Achsenzeit ein
Licht auf die gesamte Weltgeschichte zu fallen, derart, daß sich so etwas wie eine Struk-
tur der Weltgeschichte abzeichnet. Versuche ich eine Andeutung dieser Struktur:
1. Die Jahrtausende alten Hochkulturen hören mit der Achsenzeit überall auf, die Ach-
senzeit schmilzt sie ein, übernimmt sie, läßt sie versinken, sei es, daß das gleiche Volk das
Neue trug, sei es, daß es andere Völker waren. Was vor der Achsenzeit war, konnte groß-