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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0062
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte 29
wirken einer höheren geistigen Potenz ebenso voraussetzen, wie der Blütentrieb der
Natur doch nur durch den belebenden Strahl der wiederkehrenden Sonne zur Entfal-
tung seiner Herrlichkeit kommt.« Aber solche Wendungen umschreiben nur das Ge-
heimnis wie Lasaulx. Sie haben dazu den Fehler, daß sie die Einzigkeit dieser geschicht-
lichen Tatsache der Parallele der Achsenzeit nivellieren zugunsten vermeintlich
ähnlicher Gemeinsamkeiten durch die gesamte Geschichte.
Keyserling22 sagt (Buch vom Ursprung[,] S. 151): »Von Generation zu Generation er-
scheinen die Menschen auf gleiche Art und in gleicher Richtung verändert, und an
Wendepunkten der Geschichte umfaßt gleichsinnige Veränderung Riesenräume und
einander völlig fremde Völker.« Aber das ist wieder nur eine Umschreibung des Rätsels
und eine schlechte, weil sie ganz ins Biologische absinkt ohne den geringsten biologi-
schen Ansatzpunkt.
Alle diese Erklärungen übersehen den klaren Tatbestand, daß nicht die Mensch-
heit, nicht alle Menschen, von denen damals doch schon der ganze Planet besiedelt
war, sondern nur wenige, relativ sehr wenige, an drei Stellen den Schritt taten. Wie
schon bei den alten Hochkulturen sind nicht die Menschen überhaupt, sondern ist
nur ein kleiner Ausschnitt aus der Menschheit betroffen.
Daher hat man versucht, statt auf eine Biologie der Menschheit, statt auf irgend et-
was fälschlich Allgemeines, die Menschheit im Ganzen Treffendes sich zu stützen, viel-
mehr die wenigen Völker, in denen diese Revolution geschah, auf einen geschichtlich
gemeinsamen Ursprung innerhalb der Menschheit zurückzuführen. Diesen Ursprung
kennen wir zwar nicht. Er müßte in der Vorgeschichte im zentralen Asien angenom-
men werden. Aus einem solchen gemeinsamen Ursprung wären vielleicht die paralle-
len Entwicklungen als verwandt zu verstehen. Aber dieser Gedanke entzieht sich bis-
her der Verifizierbarkeit. Er ist unwahrscheinlich, weil er so verschiedene Völkermassen
wie Chinesen, Indoeuropäer und Semiten in einen gemeinsamen Ursprung bringen
müßte, dessen Wirklichkeit doch nur wenige Jahr |tausende vor dem uns sichtbaren
Anfang ihrer Geschichte läge - einem biologisch sehr kurzen Zeitraum, der für tiefgrei-
fende Rassendifferenzierungen kaum ausreicht.
Auf die Frage: warum die Gleichzeitigkeit? gibt es bisher eine einzige Hypothese,23
die methodisch diskutabel ist, die Alfred Webers. Der Einbruch der Streitwagen- und
dann der Reitervölker aus Mittelasien - der faktisch China, Indien und das Abendland
erreichte - er brachte den alten Hochkulturen das Pferd - hat, wie er sagt, in den drei
Gebieten analoge Folgen: Die Menschen dieser Reitervölker machen dank dem Pferde
die Erfahrung der Weite der Welt. Sie bemächtigen sich erobernd der alten Hoch-
kulturen. Mit den Wagnissen und Katastrophen erfahren sie die Fragwürdigkeit des
Daseins, entwickeln als Herrenmenschen ein heroisch-tragisches Bewußtsein, das im
Epos Ausdruck findet.
Diese Wende der Geschichte geschah durch die Reitervölker der Indoeuropäer. Sie
erreichten Ende des dritten Jahrtausends Europa und das Mittelmeer. Mit einem neuen

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