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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
großen Schub traten sie um 1200 auf, erreichten mit diesem auch Iran und Indien.
Entsprechend kamen Reitervölker Ende des zweiten Jahrtausends nach China.
Vorher gab es die in die Tiefe der Vergangenheit reichenden alten Kulturen von Eu-
ropa bis China, die man charakterisiert zum Teil als mutterrechtlich, oder als Kultur
seßhafter Viehzüchter, oder einfach als die in den fruchtbaren Gebieten des Kultur-
gürtels von China bis Europa gedeihenden Bevölkerungsmassen in einer jeweils sich
auf sich beschränkenden Geschlossenheit.
Die Geschichte wird zur Auseinandersetzung dieser beiden Mächte, der alten sta-
bilen, gebundenen, unerwachten des Mutterrechts mit den neuen bewegten, befrei-
enden, bewußt werdenden Tendenzen der Reitervölker.
Alfred Webers These weist auf eine reale Einheitlichkeit im eurasiatischen Block.
Wie weit aber das Erscheinen der Reitervölker entscheidend ist, läßt sich schwer ab-
messen. Geographische Situationen und geschichtliche Konstellationen schaffen
zwar Bedingungen; warum aber dann das Schöpfungswerk einsetzt, bleibt das große
Geheimnis.
38 | Webers These hat eigentümliche Leuchtkraft durch die einfache, kausale Erklä-
rung aus dem menschlichen Charakter des Reiterdaseins. Aber sie trifft doch höch-
stens eine Bedingung. Der Gehalt der Achsenzeit ist so außerordentlich und allumfas-
send, daß man zögert, ihn auf solche Ursache auch nur als eine unerläßliche Bedingung
zurückzuführen. Gegenbeweis ist etwa China, das zwar den reichen Gehalt der Ach-
senzeit hervorbrachte, aber kein tragisches Bewußtsein und kein Epos (in China gibt
es etwas dem Epos Vergleichbares erst in den Jahrhunderten nach Christus, in der Zeit
langer Wirren mit neuen Völkern, die unserer Völkerwanderung entsprechen), und
Gegeninstanz ist ferner Palästina, dessen Bevölkerung keine Durchsetzung mit Reiter-
völkern erfuhr und doch durch die Propheten ein wesentliches Moment der geistigen
Schöpfung der Achsenzeit hervorbrachte.
Die Hypothese verliert auch an Überzeugungskraft durch die Tatsache, daß Bewe-
gungen, Wanderungen, Eroberungen schon durch Jahrtausende über die alten Hoch-
kulturen hereinbrachen, ferner die Tatsache, daß die Inkubationszeit zwischen den in-
doeuropäischen - ihrerseits über mehr als ein Jahrtausend verteilten - Einbrüchen und
dem Beginn der geistigen Entwicklung der Achsenzeit sehr lang ist, dann aber der Be-
ginn mit so erstaunlich genauer Gleichzeitigkeit erfolgt. -
Daß man nach dem geschichtlichen Grund des Geschehens der Achsenzeit fragen
muß, beruht auf der Tatsache, daß es sich um einen Aufbruch innerhalb der Mensch-
heit - auf kleinen Räumen -, keineswegs aller Menschen handelt. Nicht eine allge-
meine Menschheitsentwicklung, sondern ein eigentümlicher verzweigter geschicht-
licher Vorgang ist der Tatbestand.
Während Alfred Weber diese Fragestellung ingeniös ergriffen hat mit einer be-
stimmten, nachprüfbaren und durch mögliche Diskussion fruchtbaren Antwort, hat
man gemeinhin das Geheimnis der gegenseitigen Berührungslosigkeit der drei selb-
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
großen Schub traten sie um 1200 auf, erreichten mit diesem auch Iran und Indien.
Entsprechend kamen Reitervölker Ende des zweiten Jahrtausends nach China.
Vorher gab es die in die Tiefe der Vergangenheit reichenden alten Kulturen von Eu-
ropa bis China, die man charakterisiert zum Teil als mutterrechtlich, oder als Kultur
seßhafter Viehzüchter, oder einfach als die in den fruchtbaren Gebieten des Kultur-
gürtels von China bis Europa gedeihenden Bevölkerungsmassen in einer jeweils sich
auf sich beschränkenden Geschlossenheit.
Die Geschichte wird zur Auseinandersetzung dieser beiden Mächte, der alten sta-
bilen, gebundenen, unerwachten des Mutterrechts mit den neuen bewegten, befrei-
enden, bewußt werdenden Tendenzen der Reitervölker.
Alfred Webers These weist auf eine reale Einheitlichkeit im eurasiatischen Block.
Wie weit aber das Erscheinen der Reitervölker entscheidend ist, läßt sich schwer ab-
messen. Geographische Situationen und geschichtliche Konstellationen schaffen
zwar Bedingungen; warum aber dann das Schöpfungswerk einsetzt, bleibt das große
Geheimnis.
38 | Webers These hat eigentümliche Leuchtkraft durch die einfache, kausale Erklä-
rung aus dem menschlichen Charakter des Reiterdaseins. Aber sie trifft doch höch-
stens eine Bedingung. Der Gehalt der Achsenzeit ist so außerordentlich und allumfas-
send, daß man zögert, ihn auf solche Ursache auch nur als eine unerläßliche Bedingung
zurückzuführen. Gegenbeweis ist etwa China, das zwar den reichen Gehalt der Ach-
senzeit hervorbrachte, aber kein tragisches Bewußtsein und kein Epos (in China gibt
es etwas dem Epos Vergleichbares erst in den Jahrhunderten nach Christus, in der Zeit
langer Wirren mit neuen Völkern, die unserer Völkerwanderung entsprechen), und
Gegeninstanz ist ferner Palästina, dessen Bevölkerung keine Durchsetzung mit Reiter-
völkern erfuhr und doch durch die Propheten ein wesentliches Moment der geistigen
Schöpfung der Achsenzeit hervorbrachte.
Die Hypothese verliert auch an Überzeugungskraft durch die Tatsache, daß Bewe-
gungen, Wanderungen, Eroberungen schon durch Jahrtausende über die alten Hoch-
kulturen hereinbrachen, ferner die Tatsache, daß die Inkubationszeit zwischen den in-
doeuropäischen - ihrerseits über mehr als ein Jahrtausend verteilten - Einbrüchen und
dem Beginn der geistigen Entwicklung der Achsenzeit sehr lang ist, dann aber der Be-
ginn mit so erstaunlich genauer Gleichzeitigkeit erfolgt. -
Daß man nach dem geschichtlichen Grund des Geschehens der Achsenzeit fragen
muß, beruht auf der Tatsache, daß es sich um einen Aufbruch innerhalb der Mensch-
heit - auf kleinen Räumen -, keineswegs aller Menschen handelt. Nicht eine allge-
meine Menschheitsentwicklung, sondern ein eigentümlicher verzweigter geschicht-
licher Vorgang ist der Tatbestand.
Während Alfred Weber diese Fragestellung ingeniös ergriffen hat mit einer be-
stimmten, nachprüfbaren und durch mögliche Diskussion fruchtbaren Antwort, hat
man gemeinhin das Geheimnis der gegenseitigen Berührungslosigkeit der drei selb-