Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
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des Abendlandes erst recht in allen Säkularisierungen wie den dogmatischen Philoso-
phien und sogenannten wissenschaftlichen Weltanschauungen, wird gerade dadurch
überwindbar, daß Gott sich geschichtlich auf mehrfache Weise gezeigt und viele Wege
zu sich geöffnet hat. Es ist, als ob die Gottheit durch die Sprache der Universalge-
schichte warne gegen den Anspruch der Ausschließlichkeit.
c) Wenn die Achsenzeit in dem Maße unserer Vertiefung in sie an Bedeutung
wächst, so wird die Frage: ist diese Zeit, sind | ihre Schöpfungen Maßstab für alles spätere?
Gilt etwa, wenn wir nicht auf die Quantität der Wirkung, nicht auf den Umfang der
Räume politischen Geschehens, nicht auf den Vorrang, den geistige Erscheinungen
durch Jahrhunderte genossen haben, blicken, gilt dann etwa, daß die herbe Größe, die
schöpferische Klarheit, die Tiefe des Sinns, die Weite des Sprungs zu neuen geistigen
Welten in den Erscheinungen der Achsenzeit den geistigen Gipfel der bisherigen Ge-
schichte bedeuten? Wird bei aller Höhe und neuen Unersetzlichkeit doch das Spätere
blasser vor dem Früheren, Vergil vor Homer, Augustus vor Solon, Jesus vor Jeremias?25
Es ist gewiß, daß eine mechanische Bejahung dieser Frage falsch wäre. Das Spätere
hat unter allen Umständen seinen eigenen Wert, der in dem Früheren noch nicht da
war, eine eigene Reife, sublime Kostbarkeit, eine seelische Vertiefung, zumal in der »Aus-
nahme«. Keineswegs kann die Geschichte in eine Rangordnung gebracht werden ein-
fach durch eine Universalvorstellung, die eine automatische Konsequenz hätte. Aber aus
dem Erfassen der Achsenzeit folgt die Fragestellung und vielleicht ein Vorurteil zu un-
gunsten des Späteren - und dadurch dann gerade das Aufleuchten des eigentlich Neuen
und auf andere Weise Großen, das nicht der Achsenzeit angehört. Zum Beispiel: wer phi-
losophiert, macht wohl die Erfahrung, daß, wenn er monatelang bei den Griechen war,
ihm dann Augustin wie eine Befreiung ist aus Kühle und Unpersönlichkeit hinein in Ge-
wissensfragen, die seitdem uns unverlierbar und den Griechen fremd sind. Aber ebenso
wird nach einer Weile des Augustinstudiums der Drang zu den Griechen wieder groß,
um von der Unreinheit, die im Mitvollziehen dieses Denkens zu wachsen scheint, sich
wieder gesund zu baden. Nirgends ist auf Erden das letzte Wahre, das eigentliche Heil.
Auch die Achsenzeit ist gescheitert. Es ging weiter.
Nur das halte ich für gewiß: Von der Auffassung der Achsenzeit wird unser gegen-
wärtiges Situations- und Geschichtsbewußtsein bis in Konsequenzen bestimmt, die ich
nur zum Teil habe andeuten können, sowohl wenn man die These annimmt, als auch
wenn man sie verwirft. Es handelt sich darum, wie uns die Einheit der Menschheit kon-
kret wird.
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des Abendlandes erst recht in allen Säkularisierungen wie den dogmatischen Philoso-
phien und sogenannten wissenschaftlichen Weltanschauungen, wird gerade dadurch
überwindbar, daß Gott sich geschichtlich auf mehrfache Weise gezeigt und viele Wege
zu sich geöffnet hat. Es ist, als ob die Gottheit durch die Sprache der Universalge-
schichte warne gegen den Anspruch der Ausschließlichkeit.
c) Wenn die Achsenzeit in dem Maße unserer Vertiefung in sie an Bedeutung
wächst, so wird die Frage: ist diese Zeit, sind | ihre Schöpfungen Maßstab für alles spätere?
Gilt etwa, wenn wir nicht auf die Quantität der Wirkung, nicht auf den Umfang der
Räume politischen Geschehens, nicht auf den Vorrang, den geistige Erscheinungen
durch Jahrhunderte genossen haben, blicken, gilt dann etwa, daß die herbe Größe, die
schöpferische Klarheit, die Tiefe des Sinns, die Weite des Sprungs zu neuen geistigen
Welten in den Erscheinungen der Achsenzeit den geistigen Gipfel der bisherigen Ge-
schichte bedeuten? Wird bei aller Höhe und neuen Unersetzlichkeit doch das Spätere
blasser vor dem Früheren, Vergil vor Homer, Augustus vor Solon, Jesus vor Jeremias?25
Es ist gewiß, daß eine mechanische Bejahung dieser Frage falsch wäre. Das Spätere
hat unter allen Umständen seinen eigenen Wert, der in dem Früheren noch nicht da
war, eine eigene Reife, sublime Kostbarkeit, eine seelische Vertiefung, zumal in der »Aus-
nahme«. Keineswegs kann die Geschichte in eine Rangordnung gebracht werden ein-
fach durch eine Universalvorstellung, die eine automatische Konsequenz hätte. Aber aus
dem Erfassen der Achsenzeit folgt die Fragestellung und vielleicht ein Vorurteil zu un-
gunsten des Späteren - und dadurch dann gerade das Aufleuchten des eigentlich Neuen
und auf andere Weise Großen, das nicht der Achsenzeit angehört. Zum Beispiel: wer phi-
losophiert, macht wohl die Erfahrung, daß, wenn er monatelang bei den Griechen war,
ihm dann Augustin wie eine Befreiung ist aus Kühle und Unpersönlichkeit hinein in Ge-
wissensfragen, die seitdem uns unverlierbar und den Griechen fremd sind. Aber ebenso
wird nach einer Weile des Augustinstudiums der Drang zu den Griechen wieder groß,
um von der Unreinheit, die im Mitvollziehen dieses Denkens zu wachsen scheint, sich
wieder gesund zu baden. Nirgends ist auf Erden das letzte Wahre, das eigentliche Heil.
Auch die Achsenzeit ist gescheitert. Es ging weiter.
Nur das halte ich für gewiß: Von der Auffassung der Achsenzeit wird unser gegen-
wärtiges Situations- und Geschichtsbewußtsein bis in Konsequenzen bestimmt, die ich
nur zum Teil habe andeuten können, sowohl wenn man die These annimmt, als auch
wenn man sie verwirft. Es handelt sich darum, wie uns die Einheit der Menschheit kon-
kret wird.
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