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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0069
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

Es sind immer grobe Vereinfachungen, wenn wir die Geschichte in wenige Perioden
strukturieren, aber diese Vereinfachungen sollen Zeiger auf das Wesentliche sein.
Entwerfen wir noch einmal das Schema der Weltgeschichte, damit es nicht in falscher
Eindeutigkeit erstarrt:
Viermal scheint der Mensch gleichsam von einer neuen Grundlage auszugehen:
Zuerst von der Vorgeschichte, von dem uns kaum zugänglichen prometheischen
Zeitalter (Entstehung der Sprache, der Werkzeuge, des Feuergebrauchs), durch das er
erst Mensch geworden ist.
Zweitens von der Gründung der alten Hochkulturen.
46 | Drittens von der Achsenzeit, durch die er geistig eigentlicher Mensch in voller
Aufgeschlossenheit wurde.
Viertens vom wissenschaftlich-technischen Zeitalter, dessen Umschmelzung wir
an uns erfahren.
Dementsprechend treten für unsere historische Einsicht vier eigentümliche Frage-
gruppen auf, die heute als die Grundfragen der Weltgeschichte erscheinen:
1) Welche Schritte waren in der Vorgeschichte für das Menschsein entscheidend?
2) Wie sind die ersten hohen Kulturen seit 5000 v. Chr. entstanden?
3) Was ist das Wesen der Achsenzeit und wodurch kam es zu ihr?
4) Wie ist die Entstehung der Wissenschaft und Technik zu verstehen? Wodurch
kam es zum »technischen Zeitalter«?
Dies Schema hat den Mangel, daß es vier zwar ungemein wirksame, aber dem Sinne
nach heterogene Schritte der Weltgeschichte beschreibt: das prometheische Zeitalter,
das Zeitalter der alten Hochkulturen, das Zeitalter der geistigen Gründung unseres bis
heute gütigen Menschseins, das technische Zeitalter.
Sinngemäßer, aber in die Zukunft vorgreifend, würde das Schema vielleicht auf fol-
gende Weise zu entwerfen sein: Die uns sichtbare Menschheitsgeschichte tut gleich-
sam zwei Atemzüge.
Der erste Atemzug führte vom prometheischen Zeitalter über die alten Hochkultu-
ren bis zur Achsenzeit und ihren Folgen.
Der zweite Atemzug beginnt mit dem wissenschaftlich-technischen, dem neuen
prometheischen Zeitalter, führt durch Gestaltungen, die den Organisationen und Pla-
nungen der alten Hochkulturen analog sein werden, vielleicht in eine neue uns noch
ferne und unsichtbare zweite Achsenzeit der eigentlichen Menschwerdung.26
Zwischen diesen beiden Atemzügen aber sind wesentliche Unterschiede. Wir kön-
nen vom zweiten Atemzug her, den wir gerade beginnen, den ersten kennen, das heißt
wir haben geschichtliche Erfahrung. Der andere wesentliche Unterschied ist: während
der erste Atemzug gleichsam zerspalten war in mehrere nebeneinander hergehende,
ist der zweite Atemzug der der Menschheit im Ganzen.
 
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