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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0084
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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Die Menschen sind in der Mannigfaltigkeit von Rassen da. Sind diese Rassen Zweige
aus einem Stamm oder sind sie selbständige Entwicklungen aus dem vormenschlichen
Leben, so daß der Mensch mehrere Male entstanden wäre? Alles spricht für den mo-
nophyletischen gegen den polyphyletisehen Ursprung des Menschen:
Zunächst der Hinweis durch den Tatbestand, daß es keine früheren Funde von Men-
schenresten in Amerika gibt. In vorgeschichtlich späten Zeiten muß Amerika über die
Beringstraße von Norden her aus Asien besiedelt sein. Jedenfalls in diesem Kontinent
scheint kein eigener Ursprung des Menschen zu liegen, obgleich die Indianerrassen
als Besonderheit sich stark ausgeprägt haben.
Dann spricht für den monophyletischen Ursprung biologisch die Fähigkeit aller
Rassen, zwischen ihnen Nachkommen zu zeugen, die ihrerseits fortpflanzungsfähig
sind; geistig die Übereinstimmung in den Grundzügen ihres Wesens, wenn man sie
mit den höchststehenden Tieren vergleicht. Der Abstand, der den Menschen vom Tier
trennt, ist außerordentlich viel größer, als der Abstand, der Menschen von Menschen
fremdester Rasse trennt. Angesichts des Abstandes vom Tier besteht zwischen allen
Menschen die nächste Verwandtschaft. Unsere ungeheuren Verschiedenheiten, Cha-
rakterunterschiede, unsere Ferne bis zum Nichtverstehen, unser Abbrechen in Tod-
feindschaft, unser entsetzlich stilles Auseinanderfallen bei Geisteskrankheit oder bei
der Realität nationalsozialistischer Konzentrationslager, - alles ist doch die Qual der
eigentlichen Verwandtschaft, die vergessen wurde oder keinen Weg mehr fand, sich
zu verwirklichen. Aber vor den Menschen zu den Tieren oder zu einem Tiere flüchten,
das ist in der Tat Flucht in Selbsttäuschung.
Eine empirische Entscheidung über den monophyletischen oder polyphyletischen
Ursprung des Menschen ist nicht möglich, da wir über den biologischen Ursprung des
Menschen gar nichts wissen. Daher ist die Einheit des menschlichen Ursprungs eine
Idee, keine erfahrbare Wirklichkeit.
Allen solchen Argumenten gegenüber gilt jedoch: der Zusammenhang zwischen
Menschen besteht nicht wesentlich durch ihre zoologische Gestalt, sondern dadurch,
daß sie sich verstehen können, daß sie alle Bewußtsein, Denken und Geist sind. Hier
ist zwischen den Menschen eine innerste Verwandtschaft, während ein Abgrund ge-
genüber auch den ihnen nächsten Tieren besteht.
Daher dürfen wir, daß Menschen zusammen gehören, und daß eine menschliche
Solidarität besteht, nicht ableiten aus empirischen Untersuchungen, wenn diese auch
Hinweise geben, und nicht widerlegen durch empirische Untersuchungen. Ob mono-
phyletisch oder polyphyletisch, das ist am Ende nicht entscheidend. Es handelt sich
hier um einen dem Menschsein geschichtlich erwachsenen Glauben an eine Zusam-
mengehörigkeit, die den Abgrund gegenüber dem Tiere zu ihrer Voraussetzung hat.
Diesem Glauben erwächst ein Wollen. Dem Menschen ist, im Maße als er sich sei-
ner bewußt wird, der andere Mensch nie nur Natur, nie nur Mittel. Sein eigenes Wesen
erfährt er als ein Sollen. Dies Sollen dringt tief in seine Realität, als ob es zu einer zwei-

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