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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
den Völker geschichtlich durch die Intensität, mit der sie jenen Durchbruch ergreifen,
und durch die Tiefe, in der sie angesprochen werden.
Der große Durchbruch ist wie eine Einweihung des Menschseins. Jede spätere Be-
rührung mit ihm ist wie eine neue Einweihung. Seitdem sind nur die eingeweihten
Menschen und Völker im Gang der eigentlichen Geschichte. Aber diese Einweihung
ist kein verborgenes, ängstlich behütetes Geheimnis. Vielmehr ist es in die Helligkeit
des Tages getreten, in grenzenlosem Mitteilungswillen, sich aussetzend jeder Prüfung
und Bewährung, sich zeigend jedem, aber doch »offenbares Geheimnis«, insofern es
nur erblickt, wer für es bereit ist, durch es verwandelt zu sich selbst kommt.
Die neue Einweihung geschieht in Interpretation und Aneignung. Bewußte Über-
lieferung, autoritative Schriften, Studium werden unerläßliches Lebenselement.
81
| c. Die Bedeutung der indogermanischen Völker
Seit unvordenklichen Zeiten fluten die Völker aus Asien nach dem Süden. Schon die
Sumerer sind von Norden gekommen. Seit 2000 vor Chr. sind es Völker mit indoger-
manischen Sprachen, die nach Indien und Iran zogen, dann nach Griechenland und
Italien, als Kelten und Germanen seit der Mitte des vorchristlichen Jahrtausends wie-
der die südlichen Kulturwelten beunruhigten, durch das römische Imperium eine Zeit-
lang abgewehrt wurden, wie eine Zeitlang die nomadischen Mongolen durch China.
Dann waren es die germanischen und slavischen Völker der Völkerwanderungszeit,
dann die Türkenvölker, dann die Mongolen. Erst seit einigen Jahrhunderten hat diese
unablässige Bewegung der wandernden Völker gegen die Kulturgebiete aufgehört. Der
endgültige Abschluß ist das Aufhören des Nomadendaseins. Seit dem 18. Jahrhundert
bis heute besiedelten chinesische Bauern von Süden her unablässig auf friedlichem
Wege die Mongolei. Von Norden her werden die letzten Nomaden durch die Sowjets
zur Ansiedlung gezwungen.
Unter diesen durch alle Jahrtausende die Ereignisse bestimmenden wandernden
Völkern sind wir gewohnt, den Trägern der indogermanischen Sprachen einen ge-
schichtlichen Vorrang zu geben, mit Recht, aber mit einem begrenzten Recht.
Die alten Hochkulturen sind nirgends indogermanisch. Der indogermanisch be-
stimmte sprachliche Typus der Hettiter geht nicht mit einer faßlichen geistigen Son-
derart einher.
Die Vergangenheit der Indoeuropäer in der Zeit der alten Hochkulturen zeigt zwar
keine diesen Kulturen vergleichbare organisierte Welt mit Schrift, Staatlichkeit und
Überlieferung. Aber es muß eine Welt nicht nur sprachlicher Gemeinsamkeit gewesen
sein. Es lassen sich tiefe geistige Gehalte - z. B. der Gott-Vater-Gedanke, die eigentüm-
liche Naturnähe - erschließen.
Es geht durch die Geschichte eine Periodik von nachlassenden, vergessenden, ver-
sinkenden Zeiten und Zeiten des Wiedererkennens, neuer Erinnerung, der Wiederher-
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
den Völker geschichtlich durch die Intensität, mit der sie jenen Durchbruch ergreifen,
und durch die Tiefe, in der sie angesprochen werden.
Der große Durchbruch ist wie eine Einweihung des Menschseins. Jede spätere Be-
rührung mit ihm ist wie eine neue Einweihung. Seitdem sind nur die eingeweihten
Menschen und Völker im Gang der eigentlichen Geschichte. Aber diese Einweihung
ist kein verborgenes, ängstlich behütetes Geheimnis. Vielmehr ist es in die Helligkeit
des Tages getreten, in grenzenlosem Mitteilungswillen, sich aussetzend jeder Prüfung
und Bewährung, sich zeigend jedem, aber doch »offenbares Geheimnis«, insofern es
nur erblickt, wer für es bereit ist, durch es verwandelt zu sich selbst kommt.
Die neue Einweihung geschieht in Interpretation und Aneignung. Bewußte Über-
lieferung, autoritative Schriften, Studium werden unerläßliches Lebenselement.
81
| c. Die Bedeutung der indogermanischen Völker
Seit unvordenklichen Zeiten fluten die Völker aus Asien nach dem Süden. Schon die
Sumerer sind von Norden gekommen. Seit 2000 vor Chr. sind es Völker mit indoger-
manischen Sprachen, die nach Indien und Iran zogen, dann nach Griechenland und
Italien, als Kelten und Germanen seit der Mitte des vorchristlichen Jahrtausends wie-
der die südlichen Kulturwelten beunruhigten, durch das römische Imperium eine Zeit-
lang abgewehrt wurden, wie eine Zeitlang die nomadischen Mongolen durch China.
Dann waren es die germanischen und slavischen Völker der Völkerwanderungszeit,
dann die Türkenvölker, dann die Mongolen. Erst seit einigen Jahrhunderten hat diese
unablässige Bewegung der wandernden Völker gegen die Kulturgebiete aufgehört. Der
endgültige Abschluß ist das Aufhören des Nomadendaseins. Seit dem 18. Jahrhundert
bis heute besiedelten chinesische Bauern von Süden her unablässig auf friedlichem
Wege die Mongolei. Von Norden her werden die letzten Nomaden durch die Sowjets
zur Ansiedlung gezwungen.
Unter diesen durch alle Jahrtausende die Ereignisse bestimmenden wandernden
Völkern sind wir gewohnt, den Trägern der indogermanischen Sprachen einen ge-
schichtlichen Vorrang zu geben, mit Recht, aber mit einem begrenzten Recht.
Die alten Hochkulturen sind nirgends indogermanisch. Der indogermanisch be-
stimmte sprachliche Typus der Hettiter geht nicht mit einer faßlichen geistigen Son-
derart einher.
Die Vergangenheit der Indoeuropäer in der Zeit der alten Hochkulturen zeigt zwar
keine diesen Kulturen vergleichbare organisierte Welt mit Schrift, Staatlichkeit und
Überlieferung. Aber es muß eine Welt nicht nur sprachlicher Gemeinsamkeit gewesen
sein. Es lassen sich tiefe geistige Gehalte - z. B. der Gott-Vater-Gedanke, die eigentüm-
liche Naturnähe - erschließen.
Es geht durch die Geschichte eine Periodik von nachlassenden, vergessenden, ver-
sinkenden Zeiten und Zeiten des Wiedererkennens, neuer Erinnerung, der Wiederher-