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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0096
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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Stellung und Wieder|holung. Überall gehen durch die Geschichte seitdem die Renais- 82
sancen (das augusteische Zeitalter, die karolingische, die ottonische Renaissance, die
im engeren Sinne so genannte Renaissance, die deutsche Bewegung der Humanität
von 1770-1830, Sanskritrenaissance im 12. Jahrhundert - der Konfuzianismus der Han-
zeit, der neue Konfuzianismus der Sungzeit).
Für die Achsenzeit und für die folgenden Jahrtausende des Abendlandes aber ha-
ben eine hervorragende Bedeutung die indogermanisch begründeten Kulturen. Diese
- Inder, Griechen, Germanen, auch Kelten, Slaven und die späten Perser - haben ein
Gemeinsames: Sie haben Heldensage und Epos hervorgebracht, das Tragische ent-
deckt, gestaltet und gedacht. Was damit bei den übrigen Völkern verglichen werden
könnte - der Gilgamesch der Babylonier, der Bericht über die Schlacht bei Kadesch bei
den Ägyptern, das San-kuo tschi bei den Chinesen - hat eine ganz andere Stimmung.
Die Weise der Achsenzeit ist in Indien, Persien, Griechenland durch sie mitbestimmt.
Gar nicht indogermanisch sind aber die für die Achsenzeit so wesentlichen Völker wie
die Juden und die Chinesen. Und alle indogermanischen Gründungen sind auf dem
Boden vorhergehender höherer Kulturen unter Mischung der alten Bevölkerung und
Aneignung der fremden Überlieferung erwachsen.
In Europa erwacht aus den nordischen Völkern nach der Berührung mit der Ach-
senzeit seit dem ersten Jahrtausend nach Christus eine bis dahin unreflektierte Sub-
stanz, die - so unbestimmt solche Vorstellungen auch bleiben - verwandt ist mit den
Kräften, die zum Teil in der Achsenzeit zur Erscheinung kamen. Erst durch diese viel
spätere Berührung sublimiert sich in den nordischen Völkern, was vielleicht schon
vorher in sich selbst nicht verstehenden Antrieben da war. Es wächst in neuen Schöp-
fungen des Geistes, was etwa von unbändigem Trotz zur Bewegung der geistigen Em-
pörung, dann des Fragens und Suchens wird oder was vom unerschütterlichen Ich zur
freien Persönlichkeit auf dem Grunde selbstseiender Existenz wird. Mit Entschieden-
heit wird jede Spannung zum äußersten getrieben, wird in der Spannung erst eigent-
lich erfahren, was es mit dem Menschen, mit dem Dasein in der Welt, mit dem Sein
selbst auf sich hat, wird die Transzendenz gewiß.

| d. Geschichte des Abendlandes 83
1. Gesamtaspekt
China und Indien haben nicht die Entschiedenheit der Gliederung ihrer Geschichte
wie das Abendland, nicht die Klarheit der Gegensätze in sich, nicht die Helligkeit des
geistigen Kampfes im Absetzen der Kräfte und Glaubensrichtungen gegeneinander.
Das Abendland hat die Polarität von Orient und Okzident nicht nur in Unterschei-
dung seiner selbst von dem Anderen, das außerhalb steht, sondern trägt die Polarität
in sich selbst.
 
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