Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
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Aber wesentlich wird uns Asien doch erst dann, wenn wir fragen: Was ist bei allem
Vorrang Europas doch dem Abendland verlorengegangen? Es gibt in Asien, was uns fehlt
und was uns doch wesentlich angeht! Es treten von dort Fragen an uns heran, die in un-
serer eigenen Tiefe ruhen. Wir haben für das, was wir hervorbrachten, vermochten, ge-
worden sind, einen Preis gezahlt. Keineswegs sind wir auf dem Wege des sich vollenden-
den Menschseins. Asien ist unsere unerläßliche Ergänzung. Wenn wir von uns her nur
verstehen, indem wir wiedererkennen, was wir selber sind, so vermögen wir doch viel-
leicht wiederzuerkennen, was in uns so verborgen und verschüttet ist, daß wir es nie zum
Bewußtsein brächten ohne den Spiegel des zunächst Fremden. Wir würden verstehen,
indem wir uns selber darin erweitern, weil aufblüht, was in uns schlummert. Dann ist
etwa die Philosophiegeschichte Chinas und Indiens nicht ein Gegenstand, in dem über-
flüssigerweise noch einmal da ist, was auch bei uns ist, und nicht nur eine Wirklichkeit,
an der wir interessante soziologische Auswirkungen studieren, sondern etwas, wovon
wir selber betroffen werden, weil es uns belehrt über menschliche Möglichkeiten, die
wir nicht verwirklicht haben, und uns in Fühlung bringt mit dem echten Ursprung ei-
nes anderen Menschseins, das wir nicht sind und doch der Möglichkeit nach auch sind,
das ein eigenes Unvertretbares ist an geschichtlicher Existenz.
Die selbstverständliche Vorstellung einer Geschlossenheit des abendländischen Kultur-
kreises als der Weltgeschichte ist durch | brochen. Wir können nicht mehr die großen asia- 9 6
tischen Welten beiseite lassen als ungeschichtliche Völker ewigen Stillstandes. Der Um-
fang der Weltgeschichte ist universaL Das Bild vom Menschen wird unvollständig und
schief, wenn dieser Umfang verengt wird. Nehmen wir aber Asien in seiner Größe und
Wirkungskraft, so können wir es leicht in ein Unbestimmtes täuschend übersteigern:
Asien erscheint dann gegenüber dem winzigen Europa gewaltig an Raum. Es
scheint zeitlich der umfassende Grund, aus dem alle Menschen gekommen sind. Es ist
das Unermeßliche, durch Umfang und Menschenmassen Mächtige, das Dauernde,
langsam Bewegliche.
Die griechische Kultur erscheint dann wie eine asiatische Randerscheinung, Europa
hat sich durch einen frühen Bruch von der asiatischen Mutter getrennt. Es war die Frage:
Wo und wann und in welchen Schritten fand der Bruch statt? Besteht die Möglichkeit,
daß Europa sich wieder an Asien verliert? an seine Tiefe und seine bewußtlose Nivellierung?
Wenn das Abendland das Auftauchen aus dem asiatischen Grunde ist, dann wirkt
es als ein ungeheures Wagnis menschlicher Möglichkeiten der Freiheit, zunächst in
der Gefahr, seelisch den Boden zu verlieren, und dann, wenn zum Bewußtsein gekom-
men, in der ständigen Gefahr, in Asien hinein zurückzusinken.
Diese Gefahr des Zurücksinkens würde aber heute unter neuen, Asien selbst ver-
wandelnden und zerstörenden technischen Bedingungen sich verwirklichen, wobei
aufgehoben würde die abendländische Freiheit, die Idee der Persönlichkeit, die Weite
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Aber wesentlich wird uns Asien doch erst dann, wenn wir fragen: Was ist bei allem
Vorrang Europas doch dem Abendland verlorengegangen? Es gibt in Asien, was uns fehlt
und was uns doch wesentlich angeht! Es treten von dort Fragen an uns heran, die in un-
serer eigenen Tiefe ruhen. Wir haben für das, was wir hervorbrachten, vermochten, ge-
worden sind, einen Preis gezahlt. Keineswegs sind wir auf dem Wege des sich vollenden-
den Menschseins. Asien ist unsere unerläßliche Ergänzung. Wenn wir von uns her nur
verstehen, indem wir wiedererkennen, was wir selber sind, so vermögen wir doch viel-
leicht wiederzuerkennen, was in uns so verborgen und verschüttet ist, daß wir es nie zum
Bewußtsein brächten ohne den Spiegel des zunächst Fremden. Wir würden verstehen,
indem wir uns selber darin erweitern, weil aufblüht, was in uns schlummert. Dann ist
etwa die Philosophiegeschichte Chinas und Indiens nicht ein Gegenstand, in dem über-
flüssigerweise noch einmal da ist, was auch bei uns ist, und nicht nur eine Wirklichkeit,
an der wir interessante soziologische Auswirkungen studieren, sondern etwas, wovon
wir selber betroffen werden, weil es uns belehrt über menschliche Möglichkeiten, die
wir nicht verwirklicht haben, und uns in Fühlung bringt mit dem echten Ursprung ei-
nes anderen Menschseins, das wir nicht sind und doch der Möglichkeit nach auch sind,
das ein eigenes Unvertretbares ist an geschichtlicher Existenz.
Die selbstverständliche Vorstellung einer Geschlossenheit des abendländischen Kultur-
kreises als der Weltgeschichte ist durch | brochen. Wir können nicht mehr die großen asia- 9 6
tischen Welten beiseite lassen als ungeschichtliche Völker ewigen Stillstandes. Der Um-
fang der Weltgeschichte ist universaL Das Bild vom Menschen wird unvollständig und
schief, wenn dieser Umfang verengt wird. Nehmen wir aber Asien in seiner Größe und
Wirkungskraft, so können wir es leicht in ein Unbestimmtes täuschend übersteigern:
Asien erscheint dann gegenüber dem winzigen Europa gewaltig an Raum. Es
scheint zeitlich der umfassende Grund, aus dem alle Menschen gekommen sind. Es ist
das Unermeßliche, durch Umfang und Menschenmassen Mächtige, das Dauernde,
langsam Bewegliche.
Die griechische Kultur erscheint dann wie eine asiatische Randerscheinung, Europa
hat sich durch einen frühen Bruch von der asiatischen Mutter getrennt. Es war die Frage:
Wo und wann und in welchen Schritten fand der Bruch statt? Besteht die Möglichkeit,
daß Europa sich wieder an Asien verliert? an seine Tiefe und seine bewußtlose Nivellierung?
Wenn das Abendland das Auftauchen aus dem asiatischen Grunde ist, dann wirkt
es als ein ungeheures Wagnis menschlicher Möglichkeiten der Freiheit, zunächst in
der Gefahr, seelisch den Boden zu verlieren, und dann, wenn zum Bewußtsein gekom-
men, in der ständigen Gefahr, in Asien hinein zurückzusinken.
Diese Gefahr des Zurücksinkens würde aber heute unter neuen, Asien selbst ver-
wandelnden und zerstörenden technischen Bedingungen sich verwirklichen, wobei
aufgehoben würde die abendländische Freiheit, die Idee der Persönlichkeit, die Weite