Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
77
(Buddha und seine Zeit), also von Westen nach Osten. Zudem sind entgegengesetzte Be-
wegungen auch im Abendland, und solche Schemata gelten immer nur unter gewissen
Gesichtspunkten für begrenzte Welten, und auch da nur mit Einschränkungen.
Die Welt Vorderasiens-Europas steht als ein relativ Ganzes den beiden anderen -
Indien und China - gegenüber. Das Abendland ist eine in sich zusammenhängende
Welt von Babylon und Ägypten bis heute. Aber seit den Griechen ist innerhalb dieses
westlichen Kulturkontinents die innere Gliederung in Osten und Westen, in Orient
und Okzident vollzogen. So gehören das alte Testament, das iranisch-persische We-
sen, das Christentum zum Abendland - im Unterschied von Indien und China - und
sind doch Orient. Auf die Gebiete zwischen Indien und Ägypten ist zwar immer auch
ein indischer Einfluß gewesen - es ist hier ein Zwischenbereich von einzigem histori-
schem Zauber, aber derart, daß eine einfache, übersichtliche und richtige Gliederung
der Universalgeschichte nicht gelingt.
3) In der dritten Phase gilt die Einheit des Ganzen, über das bei der endgültigen Ge-
schlossenheit des Raumes nicht mehr hinauszuschreiten ist. Voraussetzung ist die
nunmehr erreichte universale Verkehrsmöglichkeit. Diese Phase ist noch nicht der Be-
stand einer historischen Realität, sondern die Möglichkeit des Kommenden, daher
nicht Gegenstand der empirischen Forschung, sondern des Entwurfs durch Bewußt-
machen der Gegenwart und unserer Situation.
Diese gegenwärtige Situation ist durch Europa geschaffen worden. Wie kam es dazu?
| Die großen Einschnitte und Sprünge der abendländischen Geschichte geben die- 102
ser eine zerrissene, in radikalen Verwandlungen sich neu hervorbringende Gestalt, der
gegenüber Indien und China trotz aller Bewegung, die auch dort stattfand, einheitlich
wirken.
Zeitweise ist das Abendland so tief in seinen Untergrund zurückgesunken, daß es
fast erloschen scheinen konnte. Ein Besucher aus dem Weltall, der um 700 nach Chr.
die Erde bereist hätte, würde vielleicht in Tschangan, der damaligen Hauptstadt Chi-
nas, den höchsten Sitz des geistigen Lebens der Erde und in Konstantinopel einen
merkwürdigen Rest gefunden haben; die nördlichen Gebiete Europas wären ihm nur
als barbarische Bereiche erschienen. Um 1400 war das Gesamtleben Europas, Indiens,
Chinas zivilisatorisch wohl auf ähnlichem Niveau. Was aber dann seit dem 15. Jahr-
hundert geschehen ist, die Erdentdeckung und Prägung durch Europa, läßt die Frage
entstehen, wodurch das geschah, was in Europa das Neue und Eigentümliche ist, das
ihm diese Entwicklung ermöglichte, und welche Schritte es waren, die es dahin führ-
ten. Diese Frage wird zur universalgeschichtlichen Grundfrage. Denn es ist ein einma-
liger Bruch im Abendland geschehen und in seinem Gefolge für die ganze Welt, ein
Bruch, dessen Ergebnisse unsere Situation ausmachen, und dessen schließliche Bedeu-
tung heute noch offen ist.
77
(Buddha und seine Zeit), also von Westen nach Osten. Zudem sind entgegengesetzte Be-
wegungen auch im Abendland, und solche Schemata gelten immer nur unter gewissen
Gesichtspunkten für begrenzte Welten, und auch da nur mit Einschränkungen.
Die Welt Vorderasiens-Europas steht als ein relativ Ganzes den beiden anderen -
Indien und China - gegenüber. Das Abendland ist eine in sich zusammenhängende
Welt von Babylon und Ägypten bis heute. Aber seit den Griechen ist innerhalb dieses
westlichen Kulturkontinents die innere Gliederung in Osten und Westen, in Orient
und Okzident vollzogen. So gehören das alte Testament, das iranisch-persische We-
sen, das Christentum zum Abendland - im Unterschied von Indien und China - und
sind doch Orient. Auf die Gebiete zwischen Indien und Ägypten ist zwar immer auch
ein indischer Einfluß gewesen - es ist hier ein Zwischenbereich von einzigem histori-
schem Zauber, aber derart, daß eine einfache, übersichtliche und richtige Gliederung
der Universalgeschichte nicht gelingt.
3) In der dritten Phase gilt die Einheit des Ganzen, über das bei der endgültigen Ge-
schlossenheit des Raumes nicht mehr hinauszuschreiten ist. Voraussetzung ist die
nunmehr erreichte universale Verkehrsmöglichkeit. Diese Phase ist noch nicht der Be-
stand einer historischen Realität, sondern die Möglichkeit des Kommenden, daher
nicht Gegenstand der empirischen Forschung, sondern des Entwurfs durch Bewußt-
machen der Gegenwart und unserer Situation.
Diese gegenwärtige Situation ist durch Europa geschaffen worden. Wie kam es dazu?
| Die großen Einschnitte und Sprünge der abendländischen Geschichte geben die- 102
ser eine zerrissene, in radikalen Verwandlungen sich neu hervorbringende Gestalt, der
gegenüber Indien und China trotz aller Bewegung, die auch dort stattfand, einheitlich
wirken.
Zeitweise ist das Abendland so tief in seinen Untergrund zurückgesunken, daß es
fast erloschen scheinen konnte. Ein Besucher aus dem Weltall, der um 700 nach Chr.
die Erde bereist hätte, würde vielleicht in Tschangan, der damaligen Hauptstadt Chi-
nas, den höchsten Sitz des geistigen Lebens der Erde und in Konstantinopel einen
merkwürdigen Rest gefunden haben; die nördlichen Gebiete Europas wären ihm nur
als barbarische Bereiche erschienen. Um 1400 war das Gesamtleben Europas, Indiens,
Chinas zivilisatorisch wohl auf ähnlichem Niveau. Was aber dann seit dem 15. Jahr-
hundert geschehen ist, die Erdentdeckung und Prägung durch Europa, läßt die Frage
entstehen, wodurch das geschah, was in Europa das Neue und Eigentümliche ist, das
ihm diese Entwicklung ermöglichte, und welche Schritte es waren, die es dahin führ-
ten. Diese Frage wird zur universalgeschichtlichen Grundfrage. Denn es ist ein einma-
liger Bruch im Abendland geschehen und in seinem Gefolge für die ganze Welt, ein
Bruch, dessen Ergebnisse unsere Situation ausmachen, und dessen schließliche Bedeu-
tung heute noch offen ist.