Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
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die im geistigen Verkehr durch die Unwissenschaftlichkeit blinden, seiner selbst un-
bewußten, darum leidenschaftlichen und kritiklosen Behauptens bewirkt wird. Sie
läßt die Lebenslügen durchschauen. Ihrer Tapferkeit gilt das sapere aude.
Wer irgendwo durch eigenes Forschen wissenschaftlich ist, wird fähig, überall das
eigentlich Wissenschaftliche zu verstehen. Zwar gibt es spezialistische Routine und fak-
tische Leistungen ohne wissenschaftliche Haltung im Ganzen. Aber ohne irgendwo an
der Wissenschaft selbst teilzunehmen, wird keine Wissenschaftlichkeit verläßlich sein.
b. Frage nach der Herkunft moderner Wissenschaft
Warum die neue Wissenschaft entstanden ist, das wird vielleicht unter mannigfachen
Gesichtspunkten erleuchtet, nicht aber im letzten begriffen werden. Es ist wie alles gei-
stig Schöpferische das Geheimnis der Geschichte.
Nichtssagend ist die Antwort durch die Begabung der nordischen Völker. Diese Be-
gabung ist eben nur in diesem Effekt, nicht an anderen Zeichen erkennbar, also eine
Tautologie.
| Vieles kam in den neueren Jahrhunderten zusammen, in der einmaligen Verflech- 118
tung von Bedingungen die neue Wissenschaft zu ermöglichen.
Man kann auf soziologische Bedingungen hinweisen: die Freiheiten der Staaten und
Städte, - die Muße von Aristokraten und Bürgern, - die Chancen von Männern, die,
obgleich arm, Förderung durch Mäzene fanden, - die Zerrissenheit der zahlreichen
europäischen Staaten, die Freizügigkeit und die Emigrationsmöglichkeit, die Konkur-
renz der Mächte und Männer, - die großen Berührungen Europas mit dem Fremden
seit den Kreuzzügen, - der geistige Kampf zwischen Staaten und Kirche, das Rechtfer-
tigungsbedürfnis aller Mächte in bezug auf Glaubensfragen, auf Rechtsfragen, über-
haupt das Bedürfnis nach Begründungen der politischen Ansprüche und Interessen
im geistigen Kampf, - die technischen Aufgaben in Werkstätten, - die Verbreitungs-
möglichkeit durch Buchdruck mit der dadurch möglichen Steigerung von Austausch
und Diskussion. Es war, als ob sich alles gegenseitig fördern und die Chancen zuspie-
len mußte in dieser Entfaltung der Wissenschaften: Das Aufreißen der Erdoberflä-
che für technische Aufgaben brachte die Zufälle archäologischer und prähistorischer
Funde. Die Habgier und Abenteuerlust brachte die Entdeckung aller Gebiete des Erd-
balls, bis erst spät rein sachliche Forschungsreisen unternommen wurden. Die Missi-
onsaufgabe der Kirchen ließ die Seele fremder Völker und Kulturen entdecken, sich in
ihren Geist vertiefen, so daß manchmal aus christlichen Missionaren Missionare für
chinesischen oder indischen Geist in Europa wurden. Technische Fortschritte ließen
unabsichtlich Hilfsmittel für ganz andere Zwecke entstehen, vom Buchdruck an bis
zu den zahllosen Apparaten, die in fast allen Wissenschaften zu raffinierter Beobach-
tung, Tatsachenfeststellung, Wiederherstellung von Verlorenem geführt haben. Per-
sönliche Liebhaberei, ja wie ein Spleen anmutende Leidenschaft Einzelner half der Er-
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die im geistigen Verkehr durch die Unwissenschaftlichkeit blinden, seiner selbst un-
bewußten, darum leidenschaftlichen und kritiklosen Behauptens bewirkt wird. Sie
läßt die Lebenslügen durchschauen. Ihrer Tapferkeit gilt das sapere aude.
Wer irgendwo durch eigenes Forschen wissenschaftlich ist, wird fähig, überall das
eigentlich Wissenschaftliche zu verstehen. Zwar gibt es spezialistische Routine und fak-
tische Leistungen ohne wissenschaftliche Haltung im Ganzen. Aber ohne irgendwo an
der Wissenschaft selbst teilzunehmen, wird keine Wissenschaftlichkeit verläßlich sein.
b. Frage nach der Herkunft moderner Wissenschaft
Warum die neue Wissenschaft entstanden ist, das wird vielleicht unter mannigfachen
Gesichtspunkten erleuchtet, nicht aber im letzten begriffen werden. Es ist wie alles gei-
stig Schöpferische das Geheimnis der Geschichte.
Nichtssagend ist die Antwort durch die Begabung der nordischen Völker. Diese Be-
gabung ist eben nur in diesem Effekt, nicht an anderen Zeichen erkennbar, also eine
Tautologie.
| Vieles kam in den neueren Jahrhunderten zusammen, in der einmaligen Verflech- 118
tung von Bedingungen die neue Wissenschaft zu ermöglichen.
Man kann auf soziologische Bedingungen hinweisen: die Freiheiten der Staaten und
Städte, - die Muße von Aristokraten und Bürgern, - die Chancen von Männern, die,
obgleich arm, Förderung durch Mäzene fanden, - die Zerrissenheit der zahlreichen
europäischen Staaten, die Freizügigkeit und die Emigrationsmöglichkeit, die Konkur-
renz der Mächte und Männer, - die großen Berührungen Europas mit dem Fremden
seit den Kreuzzügen, - der geistige Kampf zwischen Staaten und Kirche, das Rechtfer-
tigungsbedürfnis aller Mächte in bezug auf Glaubensfragen, auf Rechtsfragen, über-
haupt das Bedürfnis nach Begründungen der politischen Ansprüche und Interessen
im geistigen Kampf, - die technischen Aufgaben in Werkstätten, - die Verbreitungs-
möglichkeit durch Buchdruck mit der dadurch möglichen Steigerung von Austausch
und Diskussion. Es war, als ob sich alles gegenseitig fördern und die Chancen zuspie-
len mußte in dieser Entfaltung der Wissenschaften: Das Aufreißen der Erdoberflä-
che für technische Aufgaben brachte die Zufälle archäologischer und prähistorischer
Funde. Die Habgier und Abenteuerlust brachte die Entdeckung aller Gebiete des Erd-
balls, bis erst spät rein sachliche Forschungsreisen unternommen wurden. Die Missi-
onsaufgabe der Kirchen ließ die Seele fremder Völker und Kulturen entdecken, sich in
ihren Geist vertiefen, so daß manchmal aus christlichen Missionaren Missionare für
chinesischen oder indischen Geist in Europa wurden. Technische Fortschritte ließen
unabsichtlich Hilfsmittel für ganz andere Zwecke entstehen, vom Buchdruck an bis
zu den zahllosen Apparaten, die in fast allen Wissenschaften zu raffinierter Beobach-
tung, Tatsachenfeststellung, Wiederherstellung von Verlorenem geführt haben. Per-
sönliche Liebhaberei, ja wie ein Spleen anmutende Leidenschaft Einzelner half der Er-