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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0134
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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durch Sicherung der Vorstufen und Dienste) vielmehr zur Verarmung des Lebens. Ar-
beit ohne geistigen Aufwand, die unerläßliches Mittel im Dienste gesteigerten Bewußt-
seins ist, wird statt dessen sich selbst genug. Der Mensch versinkt in Bewußtlosigkeit
oder Bewußtseinsverlust.
2. Der große historische Einschnitt innerhalb der Technik
Technik gibt es als Umgang mit Werkzeugen, seit es Menschen gibt. Auf dem Grunde
der natürlichen Physik der Primitiven, in Handwerk und Waffengebrauch, in Benut-
zung von Rad, Spaten, Pflug, Boot, von tierischer Arbeitskraft, Segel und Feuer, war
Technik von jeher da, soweit unsere historische Erinnerung reicht. In den hohen Kul-
turen des Altertums, besonders im Abendland, wurde eine hochentwickelte Mecha-
nik das Mittel, um gewaltige Lasten zu bewegen, Bauten zu errichten, Straßen und
Schiffe zu bauen, Belagerungs- und Abwehrmaschinen zu konstruieren.
Alle diese Technik blieb jedoch in einem Rahmen des vergleichsweise Maßvollen,
vom Menschen Übersehbaren. Was getan wurde, geschah durch Menschenkraft unter
Herbeibringung von tierischer Kraft, Spannkraft, Feuer, Wind- und Wasserkraft, aber
auch hier im Bereich der natürlichen Menschenwelt. Ganz anders wurde das seit dem
Ende des 18. Jahrhunderts. Es ist ein Irrtum, daß nirgends ein entscheidender Sprung
in der technischen Entwicklung stattgefunden habe. Hier ist er geschehen, und zwar in
dem Sinne der technischen Lebensform des Menschen im Ganzen. Nachdem Jahrhun-
derte hindurch schon Ansätze versucht, in Träumen eine technizistische, technokra-
tische Weltanschauung entworfen war, dazu die wissenschaftlichen Voraussetzungen
zunächst langsam und bruchstückhaft geschaffen wurden, geschah im 19. Jahrhun-
dert eine Verwirklichung, die alle Träume übertraf. Wir fragen, was dieses Neue war.
Es ist nicht auf ein einziges Prinzip zu bringen.
| Das Handgreiflichste ist: es wurden Maschinen erfunden: Arbeitsmaschinen brin-
gen selbsttätig Gebrauchsgüter hervor. Was vorher der Mensch als Handwerker tat, tat
nun die Maschine. Sie spann, webte, sägte, hobelte, preßte, goß, sie ließ ganze Gegen-
stände entstehen. Während hundert Arbeiter mühselig blasen mußten, um einige tau-
send Flaschen am Tag herzustellen, machte eine Flaschenmaschine täglich 20 000 Fla-
schen bei Bedienung durch einige wenige Arbeiter.
Dazu mußten zugleich Maschinen erdacht werden, die die Kraft liefern, mit der die
Arbeitsmaschinen betrieben werden. Die Dampfmaschine war der Wendepunkt (1776),
der Elektromotor (Dynamomaschine 1867) wurde dann die universale Kraftmaschine.
Aus Kohle oder aus Wasserkraft wird die Energie umgesetzt und überall hingeleitet, wo
man sie braucht. Der antiken durch alle Jahrtausende allein maßgebenden Mechanik
tritt die moderne Energetik gegenüber. Der alten Mechanik stand nur begrenzte Kraft
zur Verfügung in der Muskelleistung von Mensch und Tier, in Wind und Wasser für
Mühlen. Das Neue war jetzt die vertausendfachte, zunächst scheinbar ins Unendliche
zu vermehrende Kraft, die nun dem Menschen zur Verfügung steht.

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