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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0136
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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rang - ist erstaunlich, die Erfindungen in China sind zahlreich (z. B. Porzellan, Lack,
Seide, | Papier, Buchdruck, Kompaß, Pulver). Ebenso erstaunlich aber ist auch das 137
gleichzeitige Verharren in mühseligen, traditionellen Arbeitsweisen, wo doch die ein-
fachsten für uns naheliegendsten mechanischen Erfindungen helfen könnten. Es ist,
als ob eine normale Gedankenlosigkeit die Menschen festhielte am Unzweckmäßigen.
Entgegen diesem traditionellen Gebundensein sind nun seit anderthalb Jahrhunder-
ten in allen Gebieten eine Unmenge Erfindungen gemacht worden, die im Rahmen
des längst Möglichen liegen und gar keine moderne Wissenschaft brauchten: z. B. die
Heizöfen, Dauerbrenner, Zentralheizungen, das Küchengeschirr und viele Haushalts-
gegenstände, medizinische Apparate, wie Augenspiegel. Für anderes waren moderne
Erkenntnisse Voraussetzung, während die Durchführung durchaus mit alten Mitteln
möglich war: ein großer Teil der Seuchenbekämpfung, Operationen mit Anästhesie
und Asepsis. Die traditionelle Stumpfheit im Leben mit dem geduldig ertragenen Un-
bequemen und Unzweckmäßigen scheint in unserem Zeitalter durch den Erfindungs-
geist überwunden.
Dazu kommt als das spezifisch Moderne die Systematik des Erfindens. Es wird nicht
mehr hier und da vom Einzelnen zufällig etwas erfunden, sondern die technischen
Erfindungen sind in einen Bewegungsprozeß geraten, an dem zahllose Menschen teil-
nehmen. Einige wenige prinzipielle Erfindungsakte geben zuweilen einen neuen An-
stoß. Das Meiste geschieht im Entwickeln schon vorhandener Erfindungen, den stän-
digen Verbesserungen und weiteren Ausnutzungen. Alles wird anonym. Die Leistung
des Einzelnen verschwindet in der Leistung der Gesamtheit. So entstanden die voll-
kommenen Formen, z. B. des Fahrrades, des Automobils, je in relativ kurzer Zeit.
Das technisch Nützliche muß auch wirtschaftlich nützlich sein. Der Erfindungsgeist
als solcher aber hält sich von diesem Zwang unabhängig. Er geht in seinen großen An-
trieben gleichsam auf die Schöpfung einer zweiten Welt. Was er hervorbringt, wird je-
doch technisch verwirklicht nur in dem Maße, als der wirtschaftliche Nutzen in der freien
Konkurrenz oder der über despotische Macht verfügende Wille den Raum dafür gibt.
3) Die Arbeitsorganisation wird zu einem sozialen und politischen Problem. Wenn
die Produktion nicht nur von Luxusgütern, | sondern der Massengüter des täglichen 138
Bedarfs für alle stattfindet durch Maschinen, so führt das zur Hineinnahme der Mehr-
zahl der Menschen in diesen Produktionsprozeß, in diese Arbeitsweise an Maschinen
als Glied der Maschinerie. Wenn fast alle Menschen Glieder im technischen Arbeits-
prozeß werden, dann wird die Arbeitsorganisation zur Frage an das Menschsein. Weil
das letzte für den Menschen der Mensch und nicht die Technik ist, die Technik im
Dienste des Menschen und nicht der Mensch im Dienst der Technik stehen soll, setzte
daher auf Grund der modernen Technik ein soziologisch-politischer Prozeß ein, in
dem aus der anfänglich beliebigen Unterordnung des Menschen als Arbeitskraft un-
ter die technischen und wirtschaftlichen Zwecke eine Umkehrung dieses Verhältnis-
ses leidenschaftlich erstrebt wird.
 
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