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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0140
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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daß neue Arbeiten notwendig werden, die es vorher nicht gab. Die Maschinen müssen
doch immer wieder gebaut werden. Wenn dann die Maschinen fast zu selbständigen
Wesen werden, muß doch irgendwo noch zur Bedienung, Bewachung und Reparatur
der Maschinen menschliche Arbeit geleistet werden, - ferner zur Beschaffung der zu
verbrauchenden Rohstoffe. Die Arbeit wird nur an andere Stellen geschoben. Sie wird
verändert, nicht aufgehoben. Irgendwo bleiben die uralten, qualvollen Arbeiten, die
keine Technik abzuschaffen vermag.
So bringt Technik zwar Arbeitserleichterung. Aber sie bringt auch neue Möglichkei-
ten der Produktion, ruft durch ihre Leistungen neue Bedürfnisse hervor. Indem die Be-
dürfnisse wachsen, entsteht neue, vermehrte Arbeit. Und vor allem bringt die Technik
mit den Kriegswaffen Zerstörungsmittel hervor, die einmal durch den Zwang, maximale
Waffenmengen herzustellen, dann durch den Zwang, in chaotischen Zuständen in
Trümmern von vorn anzufangen, die Arbeitsbeanspruchung bis zum letzten steigern.
| Im ganzen ist eine faktische Arbeitserleichterung und Arbeitsverminderung durch
Technik angesichts unserer heutigen Realität so fraglich, daß man vielmehr denken
kann, der Mensch würde durch Technik erst recht bis zum Äußersten seiner Kräfte an-
gespannt. Die moderne Technik hat jedenfalls zunächst eine gewaltige Arbeitssteige-
rung der darin mitwirkenden Menschen gebracht. Trotzdem liegt in den technischen
Möglichkeiten das Prinzip der Verringerung der leiblich ruinösen Arbeiten, und es
bleibt gerade durch die moderne Technik die Idee einer wachsenden Befreiung des
Menschen von der physischen Arbeitslast zugunsten der Muße zur Entfaltung seiner
freien Möglichkeiten.
2) Die Technik verändert die Arbeit. Der Großartigkeit des erfinderischen Schaffens
steht die Abhängigkeit des unschöpferischen Anwendens gegenüber. Das Erfinden ent-
springt der Muße, dem Einfall, der Hartnäckigkeit, das Anwenden fordert wiederho-
lende Arbeit, Einordnung, Zuverlässigkeit.
Bei der ausführenden technischen Arbeit wird positiv eingeschätzt die Beobach-
tung und Bedienung der Maschinen; es wird eine disziplinierte, überlegene, nachdenk-
liche geistige Haltung entwickelt; eine Freude am sinnvollen Tun und Können, ja eine
Liebe zu den Maschinen wird möglich. - Negativ dagegen wird die Automatisierung
der Arbeit für die vielen Menschen, die die sich immer wiederholenden Griffe am lau-
fenden Band zu leisten haben; das Öde dieser gehaltlosen, nichts als ermüdenden Ar-
beit wird nur den ihrer Anlage nach stumpfen Menschen nicht zur unerträglichen Last.
Schon Hegel hat gesehen, welche Folgen für die Arbeit durch den Sprung vom Werk-
zeug zur Maschine eintreten. Zunächst der gewaltige Fortschritt: Das Werkzeug ist noch
ein träges Ding, mit dem ich nur formal tätig bin und mich selbst zum Dinge mache;
denn der Mensch liefert die Kraft. Die Maschine dagegen ist ein selbständiges Werkzeug,
durch sie wird die Natur vom Menschen betrogen, indem er sie für sich arbeiten läßt.
Aber der Betrug rächt sich am Betrügenden:57 »Indem er die Natur durch Maschinen
bearbeiten läßt, so hebt er die Notwendigkeit seines Arbeitens nicht auf ... er entfernt

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