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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0226
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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aus Vernunft vertrug, - und wie man Wege fand, friedlich das Revolutionäre zu tun,
das an der Zeit war.
Geduld, - Hartnäckigkeit, - Unerschütterlichkeit, - das ist unerläßlich für den po-
litisch handelnden Menschen. Diese Geduld liegt in der sittlichen Haltung, die per-
sönlichen Kränkungen nicht verfällt, die immer das sachliche Ganze im Auge behält,
- die abschätzt und Wesentliches vom Unwesentlichen unterscheidet. Sie liegt in der
Aufmerksamkeit, die unvermindert bleibt im Warten und in scheinbarer Vergeblich-
keit: vergleichbar dem Jäger auf dem Anstand, der stundenlang wartet, aber im Augen-
blick, wenn der Fuchs über die Waldschneise springt, im Bruchteil einer Sekunde an-
legen, zielen und schießen muß. Dieses unermüdete auf dem Sprunge sein, nichts
versäumen, dabei aufmerksam sein nicht auf ein Einzelnes, wie auf ein Wild, sondern
auf alle unvoraussehbaren, vorteilhaften Gelegenheiten - das ist unerläßlich für den
handelnden Staatsmann. An Ungeduld, Ermüdung, an der Stimmung der Vergeblich-
keit liegt die große Gefahr für menschliches Tun.
2. Eine einmal errichtete Diktatur ist von innen nicht wieder aufhebbar. Deutschland
und Italien sind von außen befreit worden. Alle Versuche von innen sind geschei-
tert. Das könnte Zufall sein. Aber die Vergegenwärtigung der Weise der terroristi-
schen Herrschaft mit den Mitteln der Totalplanung und Bürokratie zeigt die grund-
sätzliche Unüberwindbarkeit der fast automatisch sich selbst erhaltenden Maschine,
in der alles, was | von innen gegen sie auftritt, zermalmt wird. Die modernen tech-
nischen Mittel geben dem faktischen Herrscher eine gewaltige Übermacht, wenn er
rücksichtslos von allen Mitteln Gebrauch macht. Solche Herrschaft ist so wenig zu
überwinden wie eine Zuchthausverwaltung durch die Insassen. Die Maschine er-
reicht den Gipfel ihrer Unüberwindbarkeit, wenn der Terror alle einschließt derart,
daß die, die nicht wollen, zu terrorisierten Terroristen werden, töten, um nicht sel-
ber getötet zu werden.
Bisher waren solche despotischen terroristischen Herrschaften lokal. Sie konnten,
wenn nicht von innen, so von außen vernichtet werden. Sollten aber die Völker dies
nicht in ihr Bewußtsein und ihre Sorge aufnehmen, sollten sie insgesamt unversehens
in solche Diktatur als Weltdiktatur geraten, so würde es keine Befreiung mehr geben.
Die Gefahr, daß es dahin kommt, wird gesteigert, wenn man sich gegen sie sicher fühlt,
etwa meint, nur die knechtischen Deutschen könnten in so etwas hineingeraten.
Wenn die andern in dasselbe Verhängnis stürzen, gibt es kein Draußen mehr. Die Er-
starrung des Ganzen in einer Totalplanung, stabilisiert durch Terror, würde die Frei-
heit vernichten und den Weg wachsenden Ruins für alle bedeuten.
3. Die Gefahr absoluter Zerstörung: Auf dem Wege zur Ordnung des Weltstaats könn-
ten Ereignisse eintreten, die vor Erreichung des Ziels die Menschheit in solchem Maße
zerstörten, daß wir uns den Fortgang der Geschichte kaum vorstellen können. Es
würde dann ein kümmerlicher Rest noch lebender Menschen auf der Erdoberfläche
zerstreut wieder anfangen wie vor Jahrtausenden. Die Verbindungen zwischen den

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