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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0230
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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| So ist es nicht. Jene Grundgedanken der Menschenverachtung und der zuletzt im- 263
mer terroristischen Gewalt gehören zusammen gerade mit solchen Menschen.
Aber, so heißt es weiter, die natürlich kommende Weltherrschaft aus den Schwer-
gewichten der Quantitäten an Raum, Menschen und Rohstoffen ist im Grunde so ge-
waltsam für die Benachteiligten wie eine Diktatur. Auf scheinbar friedlichem Wege
zwingen Menschen durch wirtschaftliche Expansion ihren Willen allen anderen auf.
Das ist übertrieben, wenn man mit dem Ruin eines Krieges vergleicht. Und das ist
falsch, wenn man vergißt, daß die grundsätzliche friedliche Korrigierbarkeit besteht für
die Ungerechtigkeiten, die aus wirtschaftlicher Macht folgen. Aber in der Tat liegt hier
eine Frage für den Erfolg wahrer Weltordnung. Auch die Wirtschaftsmacht muß zur
Selbstbegrenzung unter Gesetzen bereit sein und sich unter Bedingungen stellen; auch
sie wird der Idee der Weltordnung zu dienen haben, wenn die Idee wirklich werden soll.
Die Weltordnung - heißt es weiter - sei überhaupt kein Ziel, das zu wünschen wäre.
Wenn sie einmal stabilisiert sei, so sei eine Totalität des Wissens und Wertens für alle
wahrscheinlich, eine Zufriedenheit und ein Ende des Menschseins, ein neuer Schlaf
des Geistes in der Ruhe einer immer weniger verstehenden Erinnerung, ein Erreichtes,
ein Allgemeines dessen, was alle wollen, während ihr Bewußtsein herabsinkt und sie
eine Verwandlung erfahren zu Wesen, die kaum noch Menschen sind.
Das alles aber würde vielleicht gelten von den Menschen in einem Weltimperium,
sofern dieses Bestand in Jahrhunderten und Jahrtausenden hätte. Es gilt aber gerade
nicht von der Weltordnung. In dieser bleiben die Elemente der Unruhe. Denn nie ist
sie vollendet, immer im Wandel. Neue Beschlüsse und Unternehmungen werden er-
fordert. Es ist unabsehbar, wie das jeweils Erreichte neue Situationen hervorbringt, die
zu meistern sind. Unzufriedenheit und Ungenügen werden neuen Durchbruch und
Aufschwung suchen.
Die Weltordnung - heißt es schließlich - ist unmöglich wegen der Art des Men-
schen und wegen der Situationen, in denen der Natur der Sache nach ein Vertrag aus-
geschlossen, der Austrag | durch Krieg - der »Appell an den Himmel« - unausweich- 264
lieh ist. Der Mensch ist unzureichend. Er wird schuldig im Besitz, im Nichtsorgen um
die Anderen, - in der Ausflucht aus der Ordnung in die Verwirrung und dann in den
geistlosen Kampf der Gewalt, - in der Selbstbehauptung durch Abbruch der Kommu-
nikation mit »unabdingbaren« Forderungen, - in dem Drang des Vernichtenwollens.
5. Die Idee der Weltordnung
Gegen alle Verneinungen der Möglichkeit einer gerechten und rechtlichen Friedens-
ordnung der Welt erwächst immer wieder aus der Beobachtung der Geschichte und un-
serem eigenen Willen unzerstörbar die Frage: Wird nicht doch irgendwann das Neue
möglich, das Sichzusammenfinden aller in einem Reich des Friedens? Der Weg dahin
ist von jeher begangen, wo Menschen staatliche Gemeinschaften stifteten zu einer Ord-
nung unter sich. Die Frage war nur, welche Größe solche Friedensgemeinschaft ge-
 
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