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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
unübersehbaren Durcheinander von Mode, Erfolg und Vergessen, geben das bunte Bild
enger Fanatismen, schwärmerischer Anbetungen, begeisterter Hingabe und auch von
Abenteurertum, Schwindel und Gaunerei. Es ist wunderbar, wie in diesem Wirrwarr
schließlich das Christentum den Vorrang erhielt, dieses zwar durchaus nicht eindeu-
tige Gebilde, aber doch der Glaube von unvergleichbar tiefstem Gehalt, dem eine Un-
bedingtheit des Ernstes eigen war und durch die Zeiten eigen blieb, vor der all die an-
deren Glaubensarten verschwanden. Das war nicht geplant und nicht gemacht. Als
Plan und Absicht begann, mit dem Christentum umzugehen, endgiltig seit Konstan-
tin, als es mißbraucht wurde, war es doch aus seinem tiefen Ursprung vorher schon da
und blieb in allen Verzerrungen und Verkehrungen immer wieder mit ihm verbunden.
In unserer Zeit finden wir wohl manche Analogie zu dieser alten Welt. Aber der
große Unterschied ist, daß das heutige Christentum dort keine Parallele hat, und daß
etwas, was dem damals neuen, weltverwandelnden Christentum heute als die Lösung
entspräche, schlechterdings nicht sichtbar ist. Darum hat der Vergleich nur für parti-
kulare Erscheinungen etwas Zutreffendes, wie etwa in der Analogie von Zaubermän-
nern, Gemeinschaftsbildungen um solche, von Heilslehren absurder Art.
Das Bild der Glaubensweisen unserer Zeit kann völlig anders gesehen werden. Wenn
von dem Glaubensverlust des Zeitalters gesprochen wird, von der faktischen Machtlo-
sigkeit und geringen Wirkung der Kirchen, vom Nihilismus als Grundzug unserer Welt,
so wird erwidert: Dies Bild des Ruins ist erwachsen an einem falschen Maßstab von Ver-
gangenem und unwiederbringlich Überholtem. Heute gibt es, so hat man gesagt, ge-
waltigen, Berge versetzenden Glauben neuen Ursprungs. So hieß es schon von den Ja-
kobinern der Französischen Revolution und ihrem Glauben an Tugend und Terror, an
Vernunft durch radikalste Gewalt. So hat man die großen liberalen Bewegungen des
19. Jahrhunderts eine Religion der Freiheit genannt (Croce).96 So hat schließlich Speng-
271 1er als Endstadien der Kulturen religionsartige, mit bezwingender | Überzeugungskraft
sich durchsetzende Grundanschauungen behauptet; wie für Indien der Buddhismus,
für die Antike der Stoizismus, so sei für das Abendland der Sozialismus das Ende. Die
Religion des Sozialismus bewegt Massen moderner Menschen.
Die Totalplanung, der Pazifismus und ähnliches scheinen gleichsam soziale Reli-
gionen. Sie sehen aus wie ein Glaube der Glaubenslosen. Statt im Glauben lebt der
Mensch in Illusionen über Realitäten in der Welt, über die Zukunft und den Gang der
Dinge, den er in seinem Glauben zu wissen meint'.
i Über Marxismus, Psychoanalyse, Rassentheorie vgl. meine Geistige Situation der Zeit, Berlin 1931,
Sammlung Göschen Band iooo[,] 6. unveränderte Aufl. Berlin 1948, Seite 135 ff.
34p | Diese frühere Schrift halte ich für eine Ergänzung der gegenwärtigen. Jene frühere war unhis-
torisch, diese gegenwärtige ist historisch gedacht. Beide beziehen sich auf die Gegenwart.
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
unübersehbaren Durcheinander von Mode, Erfolg und Vergessen, geben das bunte Bild
enger Fanatismen, schwärmerischer Anbetungen, begeisterter Hingabe und auch von
Abenteurertum, Schwindel und Gaunerei. Es ist wunderbar, wie in diesem Wirrwarr
schließlich das Christentum den Vorrang erhielt, dieses zwar durchaus nicht eindeu-
tige Gebilde, aber doch der Glaube von unvergleichbar tiefstem Gehalt, dem eine Un-
bedingtheit des Ernstes eigen war und durch die Zeiten eigen blieb, vor der all die an-
deren Glaubensarten verschwanden. Das war nicht geplant und nicht gemacht. Als
Plan und Absicht begann, mit dem Christentum umzugehen, endgiltig seit Konstan-
tin, als es mißbraucht wurde, war es doch aus seinem tiefen Ursprung vorher schon da
und blieb in allen Verzerrungen und Verkehrungen immer wieder mit ihm verbunden.
In unserer Zeit finden wir wohl manche Analogie zu dieser alten Welt. Aber der
große Unterschied ist, daß das heutige Christentum dort keine Parallele hat, und daß
etwas, was dem damals neuen, weltverwandelnden Christentum heute als die Lösung
entspräche, schlechterdings nicht sichtbar ist. Darum hat der Vergleich nur für parti-
kulare Erscheinungen etwas Zutreffendes, wie etwa in der Analogie von Zaubermän-
nern, Gemeinschaftsbildungen um solche, von Heilslehren absurder Art.
Das Bild der Glaubensweisen unserer Zeit kann völlig anders gesehen werden. Wenn
von dem Glaubensverlust des Zeitalters gesprochen wird, von der faktischen Machtlo-
sigkeit und geringen Wirkung der Kirchen, vom Nihilismus als Grundzug unserer Welt,
so wird erwidert: Dies Bild des Ruins ist erwachsen an einem falschen Maßstab von Ver-
gangenem und unwiederbringlich Überholtem. Heute gibt es, so hat man gesagt, ge-
waltigen, Berge versetzenden Glauben neuen Ursprungs. So hieß es schon von den Ja-
kobinern der Französischen Revolution und ihrem Glauben an Tugend und Terror, an
Vernunft durch radikalste Gewalt. So hat man die großen liberalen Bewegungen des
19. Jahrhunderts eine Religion der Freiheit genannt (Croce).96 So hat schließlich Speng-
271 1er als Endstadien der Kulturen religionsartige, mit bezwingender | Überzeugungskraft
sich durchsetzende Grundanschauungen behauptet; wie für Indien der Buddhismus,
für die Antike der Stoizismus, so sei für das Abendland der Sozialismus das Ende. Die
Religion des Sozialismus bewegt Massen moderner Menschen.
Die Totalplanung, der Pazifismus und ähnliches scheinen gleichsam soziale Reli-
gionen. Sie sehen aus wie ein Glaube der Glaubenslosen. Statt im Glauben lebt der
Mensch in Illusionen über Realitäten in der Welt, über die Zukunft und den Gang der
Dinge, den er in seinem Glauben zu wissen meint'.
i Über Marxismus, Psychoanalyse, Rassentheorie vgl. meine Geistige Situation der Zeit, Berlin 1931,
Sammlung Göschen Band iooo[,] 6. unveränderte Aufl. Berlin 1948, Seite 135 ff.
34p | Diese frühere Schrift halte ich für eine Ergänzung der gegenwärtigen. Jene frühere war unhis-
torisch, diese gegenwärtige ist historisch gedacht. Beide beziehen sich auf die Gegenwart.