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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0249
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

Schon für Hegel zeigte die europäische Welt ihr Abendrot. »Erst in der Dämmerung
beginnt die Eule der Minerva ihren Flug«98 - so verstand er sein eigenes Philosophie-
ren, aber noch nicht im Bewußtsein des Untergangs, sondern der Vollendung.
Gedanklich erreichte das Krisenbewußtsein seinen Höhepunkt bei Kierkegaard und
Nietzsche. Seitdem breitete sich aus ein Wissen von der Wende der Geschichte, dem
Abschluß der Geschichte im bisherigen Sinne, der radikalen Verwandlung des Mensch-
seins selber.
Nach dem ersten Weltkrieg war es nicht mehr das Abendrot nur Europas, sondern
aller Kulturen der Erde. Ein Ende der Menschheit, eine kein Volk und keinen Menschen
auslassende Umschmelzung - sei es zur Vernichtung, sei es zur Neugeburt - wurde
fühlbar. Noch immer war es nicht das Ende selbst, aber das Wissen um sein mögli-
ches Bevorstehen wurde herrschend. Das erwartete Ende wurde erfahren in angstvol-
lem Entsetzen oder in gelassener Ruhe gedeutet, einmal naturalistisch-biologisch oder
soziologisch, dann als metaphysisch-substantieller Vorgang. Die Stimmung ist völlig
anders etwa bei Klages oder bei Spengler oder bei Alfred Weber. Aber die Wirklichkeit
der Krise in einem geschichtlich ohne Vergleich dastehenden Ausmaß unterliegt bei
ihnen allen keinem Zweifel.
In diesem Krisenbewußtsein uns und unsere Situation zu verstehen, dazu kann die
geschichtliche Anschauung helfen.
Eines - so scheint es - kann immer standhalten: das Menschsein als solches und
sein Sichbesinnen im Philosophieren. Auch in Verfallzeiten - so zeigt die Geschichte
- blieb hohe Philosophie möglich.
Der Wille zum Selbstverständnis aus der Anschauung der Universalgeschichte ist
289 vielleicht Ausdruck solch standhaltenden | Philosophierens, das, den eigenen Grund
suchend, in die Zukunft blickt, nicht prophetisch, aber glaubend, nicht niederschla-
gend, sondern ermutigend.
Wir können nicht tief und nicht weit genug unsere geschichtliche Erinnerung voran-
treiben. Was die Geschichte als Ganzes bedeutet, hören wir vielleicht am ehesten von
ihren Grenzen her. Diese Grenzen werden erfahren gegenüber dem, was nicht Ge-
schichte ist, gegenüber dem Vorher und dem Außerhalb, und bei dem Eindringen in
das konkret Geschichtliche, es tiefer und besser und weiter zu erfassen.
Die Frage aber nach der Bedeutung des Ganzen der Geschichte läßt die endgiltige
Antwort ausbleiben. Doch die Frage schon und die kritisch sich steigernden Versuche
einer Antwort helfen uns gegen die Kurzschlüsse des schnellen Scheinwissens, das so-
gleich wieder verschwindet, - gegen die Neigung zum bloßen Schlechtmachen des ei-
genen Zeitalters, das sich so leicht verunglimpfen läßt, - gegen die totalen Bankrott-
erklärungen, die heute schon fast altmodisch wirken, - gegen die Ansprüche, das ganz
Neue, Gründende zu bringen, das uns nunmehr rettet und das der gesamten Entwick-
 
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