Metadaten

Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0256
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

223

Alle Überlegungen dieser Art haben bis jetzt nur den einen Sinn, die Möglichkeit
offen zu halten und die Situation des Menschen auf der Erde in seiner Isolierung fühl-
bar zu machen. Irgendwelche Folgen treten für uns nicht ein, solange jede Spur einer
Realität von Vernunftwesen im Kosmos für uns fehlt. Wir können weder die Möglich-
keit leugnen, noch mit der Wirklichkeit rechnen. Aber wir können uns bewußt wer-
den der erstaunlichen, immer unruhig ergreifenden Tatsache: daß der Mensch in den
unendlichen Räumen und Zeiten auf diesem kleinen Planeten erst seit sechstausend
Jahren oder in überlieferter Kontinuität seit dreitausend Jahren zu sich gekommen ist
im Fragen und Wissen, das wir Philosophieren nennen.
| Das ungeheure historische Phänomen dieses denkenden Bewußtseins und des 298
Menschseins in ihm und durch es ist als Ganzes ein verschwindendes Geschehen im
Weltall, ganz neu, ganz augenblicklich, gerade eben beginnend - und doch für sich
von innen gesehen schon so alt, als ob es das Weltall umgriffe.

|2. Grundstrukturen der Geschichte

Die Geschichte des Menschen ist herausgehoben aus der übrigen Welt durch eine
eigene Seinsweise. Ihr entspricht innerhalb der Wissenschaften ein eigentümliches
Erkennen. Wir greifen zwei Grundcharaktere der Geschichte heraus.
a. Das Allgemeine und das Individuum
Wenn wir die Geschichte in allgemeinen Gesetzen fassen (in Kausalzusammenhän-
gen, Gestaltgesetzen, dialektischen Notwendigkeiten), so haben wir mit diesem Allge-
meinen nie die Geschichte selbst. Denn die Geschichte ist in ihrem Individuellen
etwas schlechthin Einmaliges.
Was wir Geschichte nennen, ist äußerlich, was in Raum und Zeit an seinem be-
stimmten Ort geschieht. Das aber gilt von aller Realität. Die Naturwissenschaft erkennt
zwar grundsätzlich alles materielle Geschehen nach seinen allgemeinen Gesetzen,
nicht aber, warum etwa der Schwefel in Sizilien in Anhäufungen vorkommt, überhaupt
nicht den Grund der faktischen Verteilung der Materie im Raum. Die Grenze der na-
turwissenschaftlichen Erkenntnis ist die individualisierte Realität, die nur beschrie-
ben, nicht begriffen werden kann.
In Raum und Zeit lokalisiert sein, Individuum sein, diese Kennzeichen aller Reali-
tät, genügen aber nicht zur Kennzeichnung der Individualität in der Geschichte. Was
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften