Metadaten

Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0284
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

251

vermöge unserer Kommunikation, die durch historische Wißbarkeiten hindurch auf
Existenz trifft. Hier überschreiten wir die Geschichte zur ewigen Gegenwart, sind als
geschichtliche Existenz in der Geschichte über die Geschichte hinaus.
5) Wir überwinden die Geschichte ins Unbewußte. Der Geist des Menschen ist be-
wußt. Bewußtsein ist das Medium, ohne das für uns weder Wissen noch Erfahrung,
weder Menschsein noch Bezug auf Transzendenz ist. Was nicht Bewußtsein ist, heißt
unbewußt. Unbewußt ist ein negativer, seinem Inhalt nach endlos vieldeutiger Begriff.
Unser Bewußtsein ist gerichtet auf Unbewußtes, das heißt auf all das, was wir in der
Welt vorfinden, ohne daß aus ihm ein Inneres sich uns mitteilt. Und unser Bewußt-
sein ist getragen vom Unbewußten, ist ein ständiges Hervorwachsen aus dem Unbe-
wußten und Zurückgleiten ins Unbewußte. Aber vom Unbewußten können wir Erfah-
rung nur gewinnen durch das Bewußtsein. In jedem bewußten Schritte unseres
Lebens, zumal in jedem schaffenden Tun unseres Geistes hilft uns ein Unbewußtes in
uns. Das reine Bewußtsein vermag nichts. Das Bewußtsein ist wie der Kamm einer
Welle, ein Gipfel über breitem und tiefem Untergrund.
Dieses uns tragende Unbewußte hat zweierlei Sinn. Das Unbewußte, das die Natur
ist, an sich und für immer dunkel, - und das Unbewußte, das der Keim des Geistes ist,
der zum Offenbarwerden drängt.
Wenn wir die Geschichte überwinden in das Unbewußte als das Seiende, das in der
Erscheinung des Bewußtseins offenbar wird, so ist dieses Unbewußte nie die Natur,
sondern jenes, das im Hervortreiben der Symbole in Sprache, Dichtung, Darstellung
und Selbstdarstellung, in Reflexion sich zeigt. Wir leben nicht nur aus ihm, sondern
auf es hin. Es wird, je heller das Bewußtsein es zur Erscheinung bringt, vielmehr selbst
immer substantieller, tiefer, umfassender gegenwärtig. Denn in ihm wird jener Keim
zum Wachen gebracht, dessen Wachheit ihn selbst steigert und erweitert. Der Gang
des Geistes in der Geschichte verbraucht nicht nur ein vorgegebenes Unbewußtes, son-
dern bringt neues | Unbewußtes hervor. Aber beide Ausdrucksweisen sind falsch ge-
genüber dem einen Unbewußten, in das einzudringen nicht nur der Prozeß der Ge-
schichte des Geistes ist, sondern das das Sein ist über, vor und nach aller Geschichte.
Aber als Unbewußtes ist es nur negativ bezeichnet. Mit diesem Begriff ist keine Chif-
fre des Seins zu gewinnen, wie es Eduard von Hartmann112 in einer Welt positivisti-
schen Denkens vergeblich versuchte. Das Unbewußte ist nur so viel wert, als es im Be-
wußtsein Gestalt gewinnt und damit aufhört, unbewußt zu sein. Bewußtsein ist das
Wirkliche und Wahre. Gesteigertes Bewußtsein, nicht das Unbewußte ist unser Ziel.
Wir überwinden die Geschichte zum Unbewußten, um dadurch vielmehr zum gestei-
gerten Bewußtsein zu kommen.
Täuschend ist der Drang in die Bewußtlosigkeit, der doch jederzeit uns Menschen
in der Not ergreift. Ob ein babylonischer Gott den Lärm der Welt rückgängig machen
möchte mit dem Wort »ich will schlafen«,113 ob der Abendländer sich in das Paradies
sehnt, in den Zustand, bevor er vom Baum der Erkenntnis aß, ob er für das Beste hält,

33 8
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften