Metadaten

Jaspers, Karl; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,1): Ausgewählte Verlags- und Übersetzerkorrespondenzen — Basel: Schwabe Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69893#0038
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Einleitung des Herausgebers

XXXVII

des Erfolgs« wird Jaspers sogar noch deutlicher: Es zeichne den Menschen als Men-
schen aus, dass er »im Erfolg zögert, noch in ihm das Vergängliche spürt, beim Mas-
senerfolg, sofern es sich um geistige Dinge handelt, geradezu erschrickt (als ob ihm
hier ein Beweis für seine Unwahrheit erbracht werde)«.28 Ein durch wirkungsvolle
Propaganda erzielter Bucherfolg scheint, obwohl es unlogisch ist, gerade keine Pro-
paganda für die Wahrheit zu sein.
Erst in den 1960er Jahren, als Jaspers mit seinen politischen Schriften in der Öf-
fentlichkeit dauerhaft präsent war, wurden solche Skrupel weniger. Sein Verhältnis
zur Propaganda nahm selbstverständliche Züge an. Auf Distanz zu gehen, hatte kei-
nen Sinn, da ihre Bedeutung auch in der sogenannten freien Welt ständig wuchs.
Längst ging es nicht mehr nur um diesen oder jenen Bucherfolg, sondern um das geis-
tige Dasein überhaupt. Ohne Propaganda ist man »in unserer Zeit nicht da«.29 Des-
halb rät er Hannah Arendt, die vom Piper-Verlag geplanten Propagandamaßnahmen
für die deutsche Ausgabe ihres Eichmann-Buches - »Presse-Konferenz, Funkgespräch
mit Bondy und Ernst Schnabel und Spiegel-Gespräch«30 - auf jeden Fall mitzuma-
chen: »Piper will eine große Propaganda für Dich. Dieser Absicht stimme ich grund-
sätzlich immer zu. Es wäre ja einfach dumm heute, nicht die Propaganda zu nutzen.
Wir haben kein geistiges Publikum mehr, keine >Schicht<, in der ein Schriftsteller vor
100 Jahren zu Hause war. Wir müssen sehen, wie wir die einzelnen treffen, das heißt:
sich an die >Masse< wenden.«31
Wenn ohne eine entsprechende Propaganda keine Wirkung zu erzielen ist, kommt
es umso mehr darauf an, im Denken und Handeln unabhängig zu bleiben. Die zahl-
reichen medialen Wirkungsmöglichkeiten von der Presse über den Rundfunk bis
zum Fernsehen bergen die Gefahr, das eigene Reden und Schreiben am quantifizier-
baren Erfolg, an Verkaufszahlen und Ein schalt quoten, zu orientieren. Angesichts die-
ser Versuchung wird Unabhängigkeit nur dann gewahrt, »wenn sie zur Unabhängig-
keit auch von der eigenen Wirkung wird. Denke, rede und schreibe ich, um zu wirken,
bin ich schon auf dem Wege, an die Unwahrheit zu verfallen, die sagt: Wahrheit ist,
was wirkt.«32 Hier, an der Unabhängigkeit von der eigenen Wirkung, setzt die Propa-
ganda für die Wahrheit an.
Wer sich der Propaganda bedient, wendet sich an die Masse. Propaganda für die
Wahrheit beginnt in dem Moment, wo nicht die Masse als solche, die Masse in ih-
rer Anonymität, sondern in der Masse der unbekannte Einzelne angesprochen wird.

28 K. Jaspers: Von der Wahrheit, 574.
29 K. Jaspers an H. Arendt, 19. Dezember 1962, in: dies.: Briefwechsel 1926-1969, 531.
30 H. Arendt an K. Jaspers, 20. April 1964, ebd., 586. - Vgl. H. Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Be-
richtvon der Banalität des Bösen, München 1964.
31 K. Jaspers an H. Arendt, 25. April 1964, in: dies.: Briefwechsel 1926-1969, 589.
32 K. Jaspers: »Politische Schriftsteller und politisches Handeln«, 370.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften