Karl Jaspers - Seifert (1945-1946)

269 Fritz Seifert an Karl Jaspers
Typoskript; DLA, A: Jaspers, auf Briefpapier des Verlags der Bücherstube Fritz Seifert

Hameln, den io. n. 1945
Sehr verehrter Herr Professor!
Ob Sie sich noch des Briefwechsels erinnern, der die Drucklegung des Buches »Nietz-
sche und das Christentum« zum Gegenstand hatte?589 Nach meiner Rückkehr aus lan-
ger Kriegsgefangenschaft fand ich jetzt Zeit, mich an Hand Ihrer frdl. Briefe aus dem
Sommer 1938 an meine schöne Hoffnung zu erinnern, das Buch einmal verlegen zu
dürfen, wenn der Krieg mit dem geahnten Ausgange vorüber sei.590 Inzwischen ist der
Sturm über uns hinweggebraust, und allmählich regen sich nach dem ungeheueren
Fall in den Abgrund die gebliebenen Kräfte.
Im englischen Sektor ist zwar bislang noch keine Verlagslizenz gegeben worden.
Ich habe jedoch Hoffnung, sie zu erhalten, denn ich bin politisch völlig unbelastet,
da ich aus Gewissensgründen weder der Partei noch einer ihrer Untergliederungen
angehört habe. Es würde für mich eine Auszeichnung und grosse Freude bedeuten,
wenn Sie, sehr verehrter Herr Professor, mir Ihre Arbeit jetzt anvertrauen würden. Sie
soll bei mir in guten Händen sein; ich würde sie jederzeit gut betreuen.
Ich wäre Ihnen darüber hinaus sehr dankbar, wenn Sie meine Verlagsarbeit, der ich
mich künftig mehr als bisher widmen möchte, unterstützend und beratend förderten.
Meine herzlichen Wünsche gehen zu Ihnen persönlich: möge das Unheil Sie und
Ihr ganzes Haus unangetastet gelassen haben, und möge Ihre hohe Geisteskraft uns
noch lange erhellend über künftige Wege und Abgründe geleiten.
Es grüsst Sie sehr ergeben
Ihr
Fr. Seifert