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Jaspers, Karl; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,1): Ausgewählte Verlags- und Übersetzerkorrespondenzen — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69893#0052
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Einleitung des Herausgebers

LI

tung als Redaktor des »Studium generale< fällt meines Erachtens ebenfalls für Sie ins
Gewicht.«111 Er könne zwar seine Enttäuschung über Gadamers Ablehnung verstehen,
rate ihm jedoch, die Gründe für sein Scheitern weniger bei anderen als bei sich selbst
zu suchen: »Wenn ich mich frage, woran der Misserfolg liegt, so fürchte ich, es sei ein
gewisser Mangel an Selbstkritik, Bescheidung und eine gewisse Neigung, sich für geis-
tig überlegen zu halten, die Ihnen in die Quere kommt.«112 Davon unbeeindruckt,
entgegnete Thiel: »Was Sie an meinen Veröffentlichungen bemängeln, ist wohl weit-
gehend durch die Eigenheit von Person und Stil auf beiden Seiten bedingt.«113 Ange-
sichts dieser eigensinnigen Beratungsresistenz musste Jaspers frustriert feststellen:
»Leider verstehen wir uns nicht gut.«114 Zu einem normalen Lehrer-Schüler-Verhält-
nis ist es daher zwischen beiden nie gekommen.115
Nachdem er von seinem Doktorvater nicht die erhoffte Unterstützung erhalten
hatte, nahm Thiel die Dinge selbst in die Hand. Was er bei Gadamer nicht im Rah-
men einer Habilitation realisieren konnte, suchte er über Aufsätze im Studium Gene-
rale weiterzuführen. Ab 1951 veröffentlichte er dort regelmäßig Texte, in denen er sei-
nen Versuch, den Seinszusammenhang als »Totalgegenständlichkeit« im »System«
zu denken,116 in immer neuen Anläufen zu rechtfertigen suchte.117 Sein Hauptgegner
war dabei ein weit gefasster, von Kierkegaard über Heidegger und Jaspers bis zu Sar-
tre reichender Existentialismus, dem er Wissenschaftsverachtung und, dadurch be-
dingt, Entleerung der Philosophie zur Gegenstandslosigkeit vorwarf. Im Zuge dieser
Kritik verstieg sich Thiel zu polemischen Angriffen gegen Gadamer, zunächst indi-
rekt über den Umweg einer Auseinandersetzung mit der Heideggerschule, ohne Ga-
damer selbst beim Namen zu nennen, zuletzt direkt und frontal.
Der erste Angriff erfolgte 1953 in einer langen Fußnote zu Heidegger.118 Thiel kriti-
sierte dessen »Entleerung des philosophischen Denkens von allen Gehalten«, die sich

in K. Jaspers an M. Thiel, n. Januar 1952, Durchschlag, ebd.
112 K. Jaspers an M. Thiel, 6. November 1953, Durchschlag, ebd.
113 M. Thiel an K. Jaspers, 16. Dezember 1953, ebd.
114 K. Jaspers an M. Thiel, 18. Juni 1954, Durchschlag, ebd.
115 Dazu passt, was Jaspers später über Thiel sagte: »Er hat, ohne mein Schüler zu sein, bei mir pro-
moviert.« (K. Jaspers an den Dekan der Technischen Hochschule Hannover, 8. Oktober 1954,
Durchschlag, ebd.).
116 Vgl. M. Thiel: Die Kategorie des Seinszusammenhanges und die Einheit des Seins, 33-46, bes. 34 u. 35.
117 Sein erster Text schließt mit den vollmundig-bescheidenen Worten: »Damit ist nicht ein Aufriß
philosophischer Problemlösungen gegeben, sondern der Ort umschrieben, von dem aus eine
philosophische Bemühung sich als Aufgabe zu begreifen und mit ihr eigenen Untersuchungen
anzusetzen vermag.« (M. Thiel: »Die Distanzproblematik in der Philosophie«, in: Studium Gene-
rale 4 (1951) 271-280, hier: 280) Es folgt eine Fußnote, wonach ein »Versuch in dieser Richtung«
mit seinem bei Springer erschienenen Band »begonnen« worden sei (ebd.).
118 Vgl. zum Folgenden M. Thiel: »Die Symbolik als philosophisches Problem und philosophische
Aufgabe«, in: Studium Generale 6 (1953) 235-256, hier: 252-253, Anm. 6.
 
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