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Jaspers, Karl; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,1): Ausgewählte Verlags- und Übersetzerkorrespondenzen — Basel: Schwabe Verlag, 2018

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https://doi.org/10.11588/diglit.69893#0060
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Einleitung des Herausgebers

LIX

gleisungen stattfinden. Diese scheinen mir in Kauf zu nehmen zu sein, wenn man
die Freiheit will.«158
Jaspers hatte, nicht zuletzt aufgrund seiner Auseinandersetzung mit Heidegger,
schon früh nach den Möglichkeiten einer philosophischen Polemik gesucht.159 Da-
bei war ihm immer wieder bewusst geworden, dass die Reflexion auf ihre Formen und
Methoden an Grenzen stieß, je stärker man selbst engagiert war. Hier nun bestand
die Möglichkeit, aus der Distanz teilzunehmen, aus einer Distanz, die Einsichten ge-
währte und Spielräume eröffnete, über die man als unmittelbar Beteiligter nicht ver-
fügte. Es schien, als bringe Thiel vielversprechende Voraussetzungen für eine philo-
sophische Polemik mit: »Dr. Thiel scheint mir ein kostbares enfant terrible, nicht nur
begabt, sondern hier und da hellsichtig, dann wieder ahnungslos und taktlos.«160 Aus
einem pädagogischen Impuls heraus hoffte Jaspers zunächst, ihn zu einer stärkeren
Disziplin im Ausdruck bewegen zu können: »Sie wissen, welche Sorge ich habe, dass Sie
über die Stränge schlagen und dann auf keine Weise mehr zu verteidigen sind.«161 Zwar
musste er gegenüber dem Springer-Verlag bald frustriert feststellen, dass er von Thiel
offensichtlich zu viel erwartet hatte: »Aber das ist ja eben das Schlimme, dass Dr. Thiel
sich der deutlichen Ausdrucksweise, die Unterscheidungen und Nuancen kennt, nicht
mit genügender Verantwortlichkeit bedient.«162 In dem Maße aber, wie der Druck der
Gegenseite wuchs, indem Gadamer einen Rechtsanwalt einschaltete und Blumenberg
mit der Mobilisierung von Kollegen drohte, hielt Jaspers an Thiel fest und betonte un-
beirrt seine »Hellsicht für Dinge, die man nicht hören mag.«163 So nahm, als der Kon-
flikt 1959 wieder entflammte, Jaspers umgehend Anteil daran: »Die Sache ist als Symp-
tom unseres öffentlichen geistigen Daseins in Deutschland erregend.«164
Die Auseinandersetzung kreiste nun um Gadamers Leipziger Rektoratsrede vom
5. Februar 1946, die man als Verbeugung vor den neuen Machthabern lesen konn-
te.165 Hier war auffallend häufig von den Arbeitern die Rede, nicht nur von den »Ar-
beiterstudenten«, sondern von der gesamten »Arbeiterschaft in ihrem politischen
Aufbruch«, von den Werktätigen also, die »mit der harten Arbeit ihrer Hände dem
Ganzen dienen« und maßgeblich dazu beitragen, dass nun »die wahre Ordnung der

158 K. Jaspers an H. Götze, 29. Juli 1954, ebd., 388-389.
159 Vgl. H. Saner: »Auf der Suche nach einer philosophischen Polemik«, in: ders.: Erinnern und Ver-
gessen. Essays zur Geschichte des Denkens, Basel 2004,169-182.
160 K. Jaspers an H. Götze, 29. Juli 1954, in diesem Band, S. 390.
161 K. Jaspers an M. Thiel, 29. August 1954, Durchschlag, DLA, A: Jaspers.
162 K. Jaspers an H. Götze, 1. Juli 1955, in diesem Band, S. 394.
163 K. Jaspers an H. Götze, o.D., ebd., 403.
164 K. Jaspers an H. Götze, 31. Oktober 1959, ebd., 406.
165 Vgl. H.-G. Gadamer: Über die Ursprünglichkeit der Wissenschaft, Leipzig 1947 (Leipziger Universi-
tätsreden 14), Wiederabdruck in: ders.: Gesammelte Werke, Bd. 10: Hermeneutik im Rückblick, Tü-
bingen 1995,287-294.
 
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